Ewig sollst du schlafen
zuzuführen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Alles ist an seinem Platz.
Der Überlebende warf einen Blick auf den reglosen Körper auf dem Fußboden. Nicht tot. Nur bewusstlos. Der Tod würde aber bald eintreten. Auf den Bildschirmen überall in seinem Zimmer flackerten Szenen vom Peltier-Friedhof. Die Polizei und der FBI waren
en masse
aufgelaufen. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Sie suchten in der falschen Richtung.
Das war am Morgen gewesen, und die Sender hatten die Meldung immer wieder gebracht. Er freute sich. Endlich waren die Medien aufmerksam geworden. Zollten ihm den gebührenden Respekt.
Auf zwei Geräten liefen DVDs. Seine Lieblingsfilme. Die Filme, mit denen er sich am stärksten identifizieren konnte. Rambo tummelte sich auf dem einen Bildschirm, und der Überlebende beobachtete, wie Sylvester Stallone in der Titelrolle der Army entwischte. Auf dem anderen Bildschirm verfolgte er einen aalglatten Rächer, Neo, in
Matrix
. Auch er war ein Rächer. Einer, der Gerechtigkeit suchte. Ein Opfer des Systems, einer, der das an ihm verübte Unrecht vergelten würde.
Er löste den Blick von den Bildschirmen, durchquerte das kleine Zimmer und blieb vor seiner Kommode stehen. Im flackernden blauen Licht der Monitore zeigte der gesprungene Spiegel unbarmherzig sein Gesicht. Er war in den letzten paar Wochen so stark gealtert, dass er sich selbst kaum wiedererkannte. Was seiner Meinung nach gut war. Denn so konnten andere ihn auch nicht so leicht erkennen, ob mit seinen ausgetüftelten Verkleidungen oder ohne sie. Außerdem war es an der Zeit, die Maske fallen zu lassen. Sich der Welt zu stellen. Ein ultimatives Zeichen zu setzen.
Er senkte den Blick auf die befleckte Oberfläche der Kommode und dachte daran, wie dieses Blut vergossen worden war. Dieser dunkle Fleck auf dem Holz war ihm heilig. Behutsam berührte er einen Tropfen, dann den nächsten, mit kreisendem Finger, spürte das polierte Eichenholz und das Blut, einstmals warm und flüssig, das sich dort gesammelt hatte. Es schien beinahe, als ob es unter seinen Fingerspitzen pulsierte. Mit immer schnelleren Kreisbewegungen rieb er den Heck. Deutliche Bilder aus der Vergangenheit, von spritzendem Blut und Schreien und Sterben rasten ihm durch den Kopf. So viel Blut. So viel Schmerz.
Zwölfjahre alte Schreie hallten ihm in den Ohren wider, ein gespenstisches Echo, das ihn antrieb.
Er schloss die Augen und konzentrierte seine Gedanken auf seine Mission.
All die Morde der jüngsten Zeit waren nur Vorübungen. Jetzt war die Zeit gekommen für den
coup de grâce
. Die Hinweise, die er gegeben hatte, waren nur eine Finte. Seine Botschaften hatten genügend Wahres enthalten, um das Interesse der Bullen zu fesseln, sie hatten sie aber auch auf die falsche Fährte geführt. Die Polizei war damit beschäftigt, den restlichen Geschworenen des Prozesses Schutz zu bieten, doch sie verschwendeten ihre Zeit. Und stellten Arbeitskräfte an weit entfernten Orten ab. Er lächelte. Das Berühren der Blutflecke gab ihm Kraft. Macht. Erinnerte ihn an sein Ziel. Jetzt. Heute Nacht.
Es musste vollbracht werden.
Zum ersten Mal seit zwölf Jahren schloss er die oberste Schublade auf. Als er die alte Lade öffnete, blieben seine Augen geschlossen, sein Herz hämmerte, sein Puls beschleunigte sich vor freudiger Erwartung. Sie klemmte, doch er zog heftiger, und sie gab knarrend nach. Behutsam griff er hinein.
Seine Finger ertasteten die lange lederne Scheide, und er löste begierig die Schnalle, plötzlich von Angst ergriffen angesichts des nahen Endes. Während er das Jagdmesser aus der Hülle zog, musste er sich zu langsamerem Vorgehen zwingen, um so viel Lust wie möglich zu empfinden. Dann öffnete er die Augen.
Richtete den Blick auf die glänzende, scharf geschliffene Klinge und erprobte sie an seiner eigenen Handfläche. Eine dünne scharlachrote Linie erschien auf seiner Haut. Blut quoll hervor. Eine weitere künftige Narbe. Es war perfekt.
28. Kapitel
I ch dachte, ich hätte Ihnen klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie von den Ermittlungen suspendiert sind«, sagte Katherine Okano gereizt. Sie saß auf ihrem Thron von einem Schreibtischsessel und polierte ihre Brille so heftig, dass Reed fürchtete, die Gläser könnten aus dem Rahmen springen. »Oder haben Sie das der Bequemlichkeit halber einfach vergessen, Detective?«
»Ich habe es nicht vergessen«, erwiderte er gepresst. »Und trotzdem sind Sie in Lebensgröße auf Zelluloid gebannt.
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