Ewig sollst du schlafen
will? Wir wollten Simone Everly nur die letzte Ehre erweisen und berichten, was mit ihr geschehen ist. Eine sachliche Meldung, nichts weiter.«
»Ja, bis es einen selbst betrifft. Dann ist es persönlich, und man nennt die Neugier der anderen Sensationslust.«
»Als Reporterin hätte sie objektiv bleiben müssen«, bemerkte Fink.
»Kein Wunder, dass sie abgehauen ist.«
»Hören Sie, Reed, tun Sie Ihre Arbeit, und ich tu meine. Ich brauche mir von der Polizei keinen solchen Quatsch sagen zu lassen.«
Reed spürte, wie ihm der Kamm schwoll, und nur mit Mühe konnte er den Impuls zurückhalten, die Hände zu Fäusten zu ballen. »Und wir brauchen weiß Gott nicht das scheinheilige Gehabe der Presse.« Er wandte sich dem angrenzenden Arbeitsplatz zu, von wo aus Trina mit weit aufgerissenen Augen die Unterhaltung verfolgt hatte. »Falls Sie etwas von Miss Gillette hören«, wies er sie an, »bitten Sie sie, mich unverzüglich anzurufen.«
»Mach ich, ganz bestimmt.« Sie notierte sich Reeds Handynummer, warf einen vernichtenden Blick in Finks Richtung und rollte auf ihrem Stuhl zurück an den Schreibtisch. »Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren«, drohte Fink. »Bitte sehr. Tun Sie das«, forderte Reed ihn auf. »Zeigen Sie ihr, was für ein außergewöhnlicher Menschenfreund Sie sind!«
Als Reed die Redaktion verließ, war seine Meinung über Journalisten schlechter als je zuvor. Was in Anbetracht seiner ursprünglichen Einstellung eigentlich nahezu unmöglich war.
Blutsauger. Geier.
Tom Fink und Norm Metzger passen genau in dieses erbärmliche Klischee, dachte er. Den Regen, der vom Wind getrieben vom Himmel prasselte, nahm er kaum wahr. Er war fast schon bei seinem Wagen angelangt, da bemerkte er Trina, die, die Schultern in Abwehr gegen den Regen hochgezogen, ihn einzuholen versuchte. »Detective Reed«, rief sie und winkte heftig. Aufgrund ihres engen Rocks und der hochhackigen Stiefel konnte sie nur in Trippelschritten laufen. Als sie ihn schließlich erreichte, war sie außer Atem und völlig durchnässt. »Sie müssen wissen, dass Nikki echt fertig war, als sie ging. Ich weiß nicht, was bei ihrem Gespräch mit Tom vorgefallen ist, aber sie hat gekocht vor Wut. Ich wollte sie noch überreden zu bleiben, aber ihr Entschluss stand fest.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?«, fragte er. Trina zuckte die Achseln. »Höchstens zu Hause. Sie hatte ja alle Sachen aus ihrem Schreibtisch bei sich. Aber da fällt mir noch was ein: Sie hat ein paar Anrufe gekriegt, die versehentlich in meiner Mailbox gelandet sind.« Sie senkte die Stimme zu einem flüstern; ihre Zähne schlugen aufeinander. »Celeste, unsere Rezeptionistin, ist bescheuert.« Ein Blitz zuckte über den Himmel. Trina fuhr zusammen. »Und wer hat sie angerufen?«
Sie reichte ihm einen durchnässten Zettel mit Telefonnummern, die bereits zerliefen. »Der erste Anruf kam von Sean, ihrem Exfreund, der anscheinend den Wink mit dem Zaunpfahl nicht versteht, der zweite war von ihrer Mutter.« Als Donner den Verkehrslärm übertönte, verschleierte sich Trinas Blick. »Das war ein merkwürdiger Anruf. Mrs. Gillette erschien mir sehr verstört.«
Reed dachte an die Nachricht auf Nikkis Anrufbeantworter. »Danke.«
»Falls Sie … nein, wenn Sie sie finden, sagen Sie mir Bescheid?«, bat Trina. »Ich mache mir Sorgen. Der Grabräuber steht immerhin in direktem Kontakt zu ihr.«
»Ich richte Nikki aus, dass sie sich bei Ihnen melden soll.«
»Danke.« Sie ging zurück in das Bürogebäude, und Reed stieg in sein Auto. Seine Sorge wuchs weiter. Noch einmal wählte er Nikkis Handy an, wieder ohne Erfolg. Bei Ronald Gillette erging es ihm nicht anders. Vielleicht war ihre Mutter oder ihr Vater krank geworden und Nikki hatte sie ins Krankenhaus gefahren – nein, das war keine Erklärung dafür, dass ihr Handy nicht angeschaltet war. Es sei denn, ihr Akku war leer.
Er blätterte in seinem Notizbuch und fand die Telefonnummern ihres Bruders und ihrer Schwester. Er startete den Motor und fuhr los. Von unterwegs rief er zuerst Kyle an, der offenbar sauer war, sich von seinem im Hintergrund plärrenden Fernseher trennen zu müssen, und ihm erklärte, dass er Nikki seit dem Erntedankfest nicht mehr gesehen hatte. Ein neuer Fehlschlag. Dann wählte er Lilys Nummer. Das Gespräch war ein hartes Stück Arbeit. »Seit sie mich versetzt hat, wie so oft, habe ich nichts mehr von Nikki gehört. Sie sollte babysitten, und sie hat mich im Stich
Weitere Kostenlose Bücher