Ewig sollst du schlafen
Schreibtisch hinweg stieg Reed der schwache, allgegenwärtige Zigarettengeruch in die Nase. »Das ist ja mal was ganz Neues. Konnte sich da einer keinen eigenen Sarg leisten?«
»Eine«, stellte Reed klar, der ihren Versuch zu scherzen gar nicht lustig fand. Er war nicht in der Stimmung dazu. Die halbe Nacht hatte er im Norden Georgias verbracht, wohl wissend, dass der Sheriff und ein paar Detectives ihn als Tatverdächtigen betrachteten. Dann hatte er ein paar Stunden geschlafen, halb im Koma geduscht und war gegen halb sieben wieder hinter seinem Schreibtisch gelandet. Er lebte von Kaffee, Kräckern und Kopfschmerztabletten. In seinem Papierkorb lag ein angebissener Donut, das Einzige, was an seine letzte Mahlzeit erinnerte. Er war nicht zu Spaßen aufgelegt.
»Eins der Opfer ist Barbara Jean Marx. Die andere Frau ist noch nicht identifiziert.«
»Barbara Jean Marx?« Morrisette zog die Brauen zusammen, wodurch ihr jüngstes Piercing noch besser zur Geltung kam. »Den Namen habe ich schon mal irgendwo gehört.«
»Ist mit Jerome Marx verheiratet.« Er knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken, wie hemmungslos sie ihn angelogen und wie bereitwillig er ihr geglaubt hatte. »Marx besitzt ein Import/Export-Geschäft in der Stadt. Ich denke, ich besuche ihn gleich mal und überbringe ihm persönlich die schlechte Nachricht.«
»Du kennst ihn?«, fragte Morrisette, während sie in ihrer Tasche kramte und einen Streifen Kaugummi herausfischte. »Klingt ganz so.«
Er zögerte. Und kam zu dem Schluss, dass er sie einweihen sollte. »Ich kenne Bobbi Jean. Wir hatten ein Verhältnis.«
»Und ausgerechnet du willst mit ihrem Mann reden? Steht das nicht im Widerspruch zur Politik der Polizei?«
»Ein Detective aus Lumpkin County – Davis McFee – begleitet mich.«
Morrisette zog eine Braue hoch. »Du hast dir eine persönliche Polizeieskorte besorgt?«
»Sehr witzig«, sagte er spöttisch, obwohl ihre Bemerkung ihn traf. Baldwin traute ihm offenbar nicht.
Würdest du das denn an seiner Stelle tun? Sei bloß nicht so empfindlich. Baldwin geht nur auf Nummer sicher.
»Vielleicht würdest du ja gern mitkommen.«
»Das möchte ich um nichts in der Welt verpassen.« Sie wickelte einen verbogenen Streifen Kaugummi aus und schob ihn sich in den Mund. »Also, klär mich auf.« Reed berichtete ihr alles, was er wusste, von seinem Flug im Hubschrauber über die Grauen erregenden Leichenfunde bis zu der Entscheidung Sheriff Baldwins, »um der Integrität der Behörde willen« McFee die Leitung der Ermittlungen zu übertragen. Schon allein die Tatsache, dass er es Reed, einem Exlover Bobbi Jeans, gestattete, sich an den Untersuchungen zu beteiligen, sei ein schwerer Regelverstoß, wie Baldwin betonte.
Als er fertig war, pfiff Morrisette durch die Zähne. »Mein Gott, Reed, so ein Mist. Glaubst du, dass zwischen dem Zettel im Sarg und dem Brief, den du gestern gekriegt hast, eine Verbindung besteht?«
»Wenn nicht, wäre das schon eine unglaubliche Häufung von Zufällen. Brief und Zettel sehen vollkommen gleich aus. Das gleiche Papier, die gleiche Handschrift. Beide Schriftstücke werden im Labor überprüft und auf Fingerabdrücke untersucht.«
»Wäre schon ein Glückstreffer, wenn sie welche finden würden«, brummte Morrisette. In dem Moment klingelte das Telefon.
Reed hob einen Finger und bat sie stumm zu warten, dann nahm er den Hörer ab. Er hoffte auf Informationen über Bobbi und die andere Frau in dem Sarg, doch er wurde enttäuscht. Ein Kollege meldete sich und setzte ihn von einem anderen Fall in Kenntnis. Ein paar Kinder hatten mit dem Revolver ihres Vaters gespielt, eins war dabei zu Tode gekommen. Ein deprimierender Beginn eines ohnehin schon trüben Morgens.
Während Reed telefonierte, klingelte Morrisettes Handy. Sie kramte das kleine Gerät aus ihrer Fransentasche und verschwand im angrenzenden Raum. Noch bevor Reed das Gespräch beendet hatte, kam sie zurück, doch sie setzte sich nicht wieder auf den Stuhl, sondern hockte sich mit ihrem schmalen Hintern auf die Fensterbank und wartete, bis er den Hörer aus der Hand legte. Die Tür seines Büros stand offen, und er hörte die Stimmen und Schritte der Beamten und Angestellten, die zur Tagschicht eintrudelten. »Also, wann willst du den Gatten der Verstorbenen aufsuchen, um ihm die Nachricht zu überbringen?«, fragte Morrisette. Ein Stückchen den Flur hinunter schrillte ein Telefon. »Sobald der Detective aus Lumpkin County hier eintrifft.«
»Was
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