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Ewig sollst du schlafen

Ewig sollst du schlafen

Titel: Ewig sollst du schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Jackson
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überlegte, wie sie Reed näher kommen könnte. Natürlich würde sie auch versuchen, ihn direkt anzusprechen, doch das hatte ihr in der Vergangenheit nicht viel eingebracht. Von ihrem kleinen Schlafzimmer bis in den Küchen- und Wohnbereich ihres Apartments, das sich zum Teil im Erkerturm eines einstmals herrschaftlichen viktorianischen Hauses befand, waren es nur vier Schritte. Die Holzböden mussten neu abgeschliffen und geölt werden, Wände und Stuck brauchten neue Farbe, die Arbeitsplatte gehörte ausgewechselt. Doch es war ihre Wohnung. Ihr Zuhause. Und sie fühlte sich wohl hier.
    In der Küche gab sie rasch dem Kater zu fressen, schenkte sich dann eine Tasse Kaffee ein und schlürfte sie langsam. Währenddessen verfolgte sie die Nachrichten auf ihrem kleinen Fernseher weiter, den sie während ihrer Collegezeit irgendwo abgestaubt hatte. Der Fernseher und Jen-nings waren ungefähr gleich alt; beide hatte Nikki in ihrem Abschlussjahr angeschafft. Damals war ihr klar geworden, dass sie endlich eigene Entscheidungen treffen konnte. Die nun folgenden Entscheidungen brachten es unter anderem mit sich, dass sie sich immer mit den falschen Jungs einließ.
    »Das ist nur natürlich«, sagte ihr Therapeut damals. »Du hast einen schweren Verlust erlitten. Nicht nur du, sondern deine gesamte Familie. Du bist auf der Suche nach jemandem, der diese Leere ausfüllt.«
    Nikki hielt den Kerl von Anfang an für einen Quacksalber und ließ nur eine einzige höchst ungemütliche Therapiestunde über sich ergehen. Natürlich, ihr älterer Bruder fehlte ihr. Und logischerweise trauerte ihre ganze Familie, ihre Mutter, ihr Vater, ihr anderer Bruder und ihre Schwester. Doch sie bezweifelte, dass sie wegen Andrews Tod das Bedürfnis verspürte, sich mit jedem verflixten Loser abzugeben, der ihr an der Universität von Georgia über den Weg lief. Rückblickend erkannte sie, dass der Fernseher und Jennings im Grunde ihre beiden besten Errungenschaften waren.
    Bilder über das Verbrechen flackerten noch immer über die Mattscheibe. Aber es gab nichts Neues aus Dahlonega. Und es wurde auch kein Interview mit Pierce Reed gezeigt – nicht einmal auf den Lokalsendern. Umso besser. Das macht es einfacher für mich, dachte sie und goss erneut Kaffee in ihren Reisebecher. Sie wusste, wie sie weiter vorgehen würde: Sie musste Reed nur auf den Fersen bleiben, sich mit ihrem Kontaktmann bei der Polizei kurzschließen, herausfinden, warum Reed so überstürzt in den Norden geflogen war, und dann würde es ihr gelingen, das Geheimnis um die zwei Leichen zu lüften. Auf jeden Fall würde sie ihr Exklusivinterview bekommen.
    Schon auf dem Weg nach draußen tippte sie Cliff Sieberts Handynummer ein und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Von dieser Stelle aus konnte sie über die Straße, die Dächer und Baumwipfel hinweg bis zum Forsyth Park blicken. Die Stadt war bereits wach. Autoschlangen wälzten sich hörbar durch die Straßen der Altstadt. Die Polizeibehörde lag nicht weit entfernt. Cliff meldete sich nicht.
    »Wundert mich nicht«, sagte Nikki leise. Sie nahm an, dass er nach wie vor nicht mit ihr sprechen wollte. Sie hinterließ ihm eine Nachricht und hastete die Treppe hinunter. Ihr Haar war noch nass, und sie spürte die kalte Winterluft auf ihrem Kopf. Rasch lief sie zu ihrem Auto, das auf dem kleinen Parkplatz stand. Sie warf ihr Notizbuch, ihren Laptop und ihre Tasche auf den Rücksitz und klemmte ihren Kaffeebecher in die Haltevorrichtung. Dann schob sie den Schlüssel ins Zündschloss und hörte den Motor des alten Kleinwagens orgeln. »Ja, ja, nun mach schon, ich bin auch müde«, murrte sie, und beim fünften Versuch sprang der Motor schließlich an. »Siehst du, ich weiß doch, dass du es kannst«, sagte sie, setzte zurück und bog in die von efeuberankten Garagen und alten Kutscherhäusern gesäumte Gasse ein.
    Auf ihrem Weg ins Büro fuhr sie an der Polizeiwache vorbei, erwog, dort einen Zwischenstopp einzulegen, doch entschied sich dagegen. Was sie brauchte, war ein großer Auftritt, und sie musste wissen, was sie wollte, bevor sie Reed gegenübertrat. »Welchem Umstand verdanke ich es, dass Sie mich mit einem Besuch beehren?«, fragte Jerome Marx und erhob sich, als seine Sekretärin die drei Detectives in sein Büro führte. Bis zum Morgen hatte er sich »auf Geschäftsreise« befunden. Zwar war er nun höflich genug aufzustehen, doch seine dunklen Augen strahlten Feindseligkeit aus, genauso wie seine zusammengepressten

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