Ewig sollst du schlafen
Lippen, die fast in seinem Kinnbart verschwanden, sowie sein gereizter Tonfall, überdeckt von dem unverhohlenen Hohn in seinen Worten. Er war tadellos gekleidet, trug einen marineblauen Anzug, ein weißes Hemd, eine breite burgunderrote Krawatte und goldene Manschettenknöpfe. Sein mit Mahagoni und Leder ausgestattetes Büro strahlte jene Noblesse aus, die er durch seine Kleidung so verzweifelt zu vermitteln versuchte. Das alles war nur Fassade.
Reed wusste, dass Marx von althergebrachtem Wohlstand und südstaatlicher Herrlichkeit genauso weit entfernt war wie er selbst. Als Sohn einer Näherin und eines Gebrauchtwagenhändlers hatte sich Marx mithilfe eines Football-Stipendiums bis zum Ende der Collegezeit durchgeschlagen und dann ein vierjähriges Studium an einer kleinen Universität absolviert, das ihm einen Abschluss in Betriebswirtschaft einbrachte. Von dort aus stürzte er sich ins amerikanische Geschäftsleben, arbeitete für Autovermietungen, tat sich in kleinem Stil an der Börse um und beschloss dann schließlich, mit dem Kapital, das er und seine Frau von deren Vater geerbt hatten, Unternehmer zu werden. Er und Barbara Jean hatten keine Kinder. In Anbetracht der letzten Entwicklungen war das eigentlich ganz gut.
McFee stellte sich vor, Morrisette und Reed ebenfalls. Als Marx Reeds Blick begegnete, spannte sich die Haut über seinen Wangenknochen noch mehr.
»Tut mir Leid, aber wir haben schlechte Nachrichten«, sagte McFee.
»Was für Nachrichten?« Marx horchte unvermittelt auf. »Wir haben eine Leiche gefunden. Und wir haben Anlass zu der Vermutung, dass es sich dabei um Ihre Frau handelt.«
»Wie bitte?« Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Meine Frau? Barbara?«
»Ja. Falls Sie die Nachrichten verfolgt haben, wissen Sie sicher, dass wir in Lumpkin County am Blood Mountain ein Grab entdeckt haben …«
»O Gott, soll das heißen …« Sein Blick flog von einem der Detectives zum anderen. »Soll das heißen, dass Bobbi … dass Bobbi da drin … in diesem …« Er schluckte und ließ
sich in einen Ohrensessel an seinem Schreibtisch fallen. »Nein … nein, das ist unmöglich.«
»Ich fürchte nicht, Sir. Wir müssen Sie bitten, mitzukommen und die Leiche zu identifizieren. Sie befindet sich in Atlanta .«
»O Gott … o Gott, nein.« Er barg das Gesicht in den Händen. Es waren saubere Hände, mit sorgfältig manikürten Fingernägeln. Er wirkte ehrlich schockiert, was natürlich auch nur Heuchelei sein konnte. »Nein, ich glaub das einfach nicht.« Er hob den Blick, und die düsteren Gesichter überzeugten ihn offenbar. »Natürlich komme ich mit. Wo ist das, in Atlanta?«
»Ja, dort wird die Autopsie vorgenommen.«
»Eine Autopsie?«
»Wir gehen von einem Mord aus.«
»Aber wer … wer würde denn …?« Seine Stimme erstarb. Anscheinend begriff er allmählich. »Sie glauben, ich hätte Bobbi etwas angetan?« Er war bestürzt. »Ich? Nie im Leben!« Er sah Reed an und verlor etwas an Haltung. »Klar, unsere Beziehung hatte ihre Höhen und Tiefen, und wir haben uns ja dann auch getrennt, aber ich schwöre, ich habe nichts damit zu tun. Wenn ich ihre Leiche identifizieren muss, gut, dann bringen wir’s hinter uns. Sofort.«
Trina stürzte sich auf Nikki, kaum dass diese ihre Handtasche in einer Schreibtischschublade verstaut und den Computer eingeschaltet hatte. »Du kriegst Ärger.« Trina lugte über die Trennwand der Kabine. Über das Klappern von Tastaturen und gedämpfte Stimmen hinweg ertönten Instrumentalfassungen von Weihnachtsliedern aus den Lautsprechern.
»Dachte ich mir. Metzger ist gestern wahrscheinlich gleich bei Anbruch der Morgendämmerung in Finks Büro gestürmt.
»Ja, das vermutlich auch.«
»Ist anzunehmen.«
»Ich rede aber von unserer Verabredung vorgestern Abend. Weil du dich gedrückt hast, musste ich ganz allein den Seelenklempner für Dana und Aimee spielen.« Trina verdrehte ihre ausdrucksvollen Augen. »Den ganzen Abend hindurch pendelte mein Kopf immer nur von einer Seite zur anderen. Zur einen, um Dana zu gratulieren und ihr zu versichern, wie toll die Ehe sein würde, dass Todd ein prima Keri ist, ein großartiger Fang, und zur anderen, um Aimee zu erklären, was für ein Glück sie hat, dass sie ihren ehebrecherischen, verlogenen Mistkerl von Mann los ist.«
»Das war bestimmt ein Riesenspaß.«
»Ich hätte Rückendeckung gebrauchen können.«
»Tut mir Leid, ich war –«
»Ich weiß, ich weiß, du bist der Story hinterhergejagt,
Weitere Kostenlose Bücher