Ewig sollst du schlafen
will. Man darf doch wohl mal seine Meinung ändern, oder?«
»Ich habe schon mit meinen Eltern gegessen.«
»Dann leiste mir wenigstens Gesellschaft.«
»Gut, aber nicht so lange«, gab Nikki nach. Sie fuhren getrennt in ihren Wagen zum Bijou, einem kleinen Lokal abseits des Flusses. Die Atmosphäre ließ zu wünschen übrig, es war laut und voll, aber die Schrimps, Austern und Krabbencocktails waren, wie Nikki aus Erfahrung wusste, fantastisch. Ein Dutzend Tische mit rot-weißen Wachstuchdecken drängte sich auf engem Raum, wo Deckenventilatoren, zurzeit weihnachtlich dekoriert, die Luft umrührten. Teilweise abgetrennte Nischen mit hohen Sitzlehnen und Garderobenhaken fassten den Gastraum ein. Als sie eintraten, brachen drei Teenager gerade auf, und Nikki und Simone belegten deren kleinen, jetzt freien Tisch in Küchennähe. Minuten später hatte eine Kellnerin mit violetten Strähnen im Haar und diversen Ringen in den Augenbrauen ihre Bestellung aufgenommen. Bevor Nikki Simone noch davon überzeugen konnte, dass sie ihre Bemühungen um Jake besser aufgab, wurde Simone eine Meeresfrüchteplatte und Nikki ein Eistee vorgesetzt.
»Willst du wirklich nichts essen?«, fragte Simone und zog ein Stückchen Muschelfleisch durch die scharfe Soße. »Nein, ich bin satt.«
Nikki nippte an ihrem Tee und versuchte, nicht alle fünf Minuten auf die Uhr zu blicken. Währenddessen verschlang ihre Freundin Krautsalat, Pommes frites, Schrimps, Muscheln und Krabben. Schon zum zweiten Mal tönte
Jingle Bell Rock
aus den Lautsprechern. »Okay, Jake ist also nicht für mich bestimmt. Damit kann ich leben«, philosophierte Simone. »Über Andrew bin ich schließlich auch hinweggekommen, nicht wahr?«
»Besser als die meisten von uns.« Sie sprachen selten über Andrew oder darüber, dass er eine Woche vor seinem Tod mit Simone Schluss gemacht hatte. Nikki war keineswegs davon überzeugt, dass ihre Freundin dieses Erlebnis unbeschadet überwunden hatte, doch sie war nicht in der Stimmung zu widersprechen.
»Wie steht’s eigentlich mit dir? Warum verkriechst du dich ständig in deiner Wohnung oder hinter deiner Arbeit? Allmählich glaube ich, dass du einen heimlichen Geliebten vor mir versteckt hältst.«
Nikki hätte beinahe laut losgeprustet. Mehrere Monate waren seit ihrem letzten Date vergangen, und die Trennung von Sean, ihrem letzten
festen
Freund, lag schon eine halbe Ewigkeit zurück. »Das kannst du gern weiterhin glauben. Es verleiht mir so einen Hauch von Rätselhaftigkeit.«
»Du bist nun mal rätselhaft.«
»Ich?« Nikki schüttelte den Kopf und mopste ein Pommes-Stäbchen. »Ich bin ein aufgeschlagenes Buch.«
»Ein aufgeschlagenes Buch, das eindeutig zu viel arbeitet«, rügte Simone, während die Kellnerin Nikkis Glas auffüllte. Die Musikbox dudelte gerade einen alten Jimmy-Buffett-Song. Die Melodie von
Margaritaville
übertönte das Klirren von Besteck und das Stimmengewirr. »Es hat nun mal nicht jeder einen gemütlichen Job im Planungsausschuss.«
»Einen stinklangweiligen gemütlichen Job, bei dem man sich ständig anhören muss, wie sich die Leute von der Stadtplanung in die Haare kriegen und … So will ich den Rest meines Lebens jedenfalls nicht verbringen. Du liebst deine Arbeit wenigstens.« Simone legte die Gabel neben ihren Teller. »Okay, ich sollte dir wohl besser sagen, was mit mir los ist.«
»Abgesehen davon, dass du einen Schwulen bekehren willst.« Nikki trank einen Schluck und zerbiss einen Eiswürfel. Simone ignorierte den Seitenhieb. »Ich spiele mit dem Gedanken umzuziehen.«
»Was?« Verdutzt stellte Nikki ihr Glas ab. Verschluckte sich beinahe an dem Eis.
»Du hast schon richtig verstanden.«
»Aber wohin und warum?«
»Ich weiß noch nicht genau, wo ich gern landen würde. Einfach irgendwo anders. Vielleicht in Richmond.«
»Richmond?« Nikki traute ihren Ohren nicht. Nie zuvor hatte Simone davon gesprochen, dass sie aus Savannah fortziehen wollte.
Simone knabberte an einem Schrimp. Wich Nikkis Blick aus. »Oder Charleston.«
»Wie kommst du auf diese Idee?«, fragte sie, während das Pärchen am Nebentisch geräuschvoll die Stühle rückte. »Ach, komm schon, Nikki, du weißt doch, wie das ist. Du redest seit Jahren davon wegzuziehen. Nach New York oder Chicago oder San Francisco oder LA. Ich denke nicht daran, mich am anderen Ende des Kontinents niederzulassen. Ich möchte in der Nähe bleiben, um meine Familie besuchen zu können, wenn mir danach ist, und doch weit genug
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