Ewig sollst du schlafen
die gerade zufiel. »Er saß mir gegenüber, und ich habe ihn ein paarmal dabei erwischt, wie er uns anglotzte … Irgendwie kam er mir bekannt vor, aber …« Eine Falte erschien zwischen ihren Brauen. »Ach, vielleicht hat das auch gar nichts zu bedeuten.«
Nikkis Mund war trocken. Sie schaute durch die Glastür, spähte durch die Scheiben hinaus in die Dunkelheit, sah jedoch nur den dunklen, menschenleeren Bürgersteig. Ihr Blick wanderte weiter zu den erleuchteten Fenstern gegenüber dem Restaurant, aber auch dort war niemand zu erkennen. »Er hat uns beobachtet?«
»Ach, vielleicht auch nicht.« Simone krauste frustriert die Stirn. »Wahrscheinlich war es nur Einbildung. Ich bin in letzter Zeit etwas schreckhaft.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Neuerdings habe ich einfach das Gefühl…« Sie brach ab und seufzte. »Ich muss wirklich dringend raus aus dieser Stadt.«
»Was für ein Gefühl?«
Simone angelte unter dem Stuhl nach ihrer Handtasche und legte sich den Riemen über die Schulter. »Es ist nichts.« Als sich Nikki nicht überzeugen lassen wollte, setzte sie hinzu: »Ehrlich. Du weißt doch: Ich bin so durcheinander, dass ich mittlerweile schon Schwulen nachstelle.« Nikki dachte an die Botschaft, die sie in ihrem Bett gefunden hatte, und dabei lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Falls sie sich jetzt Simone anvertraute, würde sie ihre Freundin nur noch mehr beunruhigen. »Wenn dich irgendetwas beschäftigt –«
»Es liegt bestimmt nur an der Jahreszeit. Weihnachten und alles, was damit verbunden ist. In dieser Zeit haben Andrew und ich uns verliebt … Aber das liegt auch schon so lange zurück. Beinahe zwölf Jahre. Weißt du, dass wir beide Schwägerinnen hätten werden können … Du wärst die Tante meiner Kinder geworden. Tante Nik, wie hört sich das an?«
»Vertraut. Lilys Tochter nennt mich manchmal so.« Offenbar hatte Simone Andrews Tod auch nicht besser verkraftet als Nikkis Familie. Vielleicht sollte sie wirklich mal eine Zeit lang Abstand gewinnen, von den Erinnerungen, von ihrer besten Freundin, die zufällig die Schwester des Mannes war, den sie geliebt hatte. Abstand von den Gespenstern der Vergangenheit.
Endlich wurde die Kellnerin auf sie aufmerksam und kam an ihren Tisch. Simone bat um die Rechnung, und Nikki fragte nach dem Mann, der in der Nische bei der Tür gesessen hatte.
»Den hab ich noch nie gesehen. Aber ich habe ja auch erst letzte Woche hier angefangen.«
»Danke.«
»Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten«, wiederholte Simone und kontrollierte die Rechnung. »Beim nächsten Mal lade ich dich ein. Wirklich.« Nikki griff nach ihrer Handtasche.
»Das höre ich nicht zum ersten Mal. Aber du bist ein billiger Gast. Zwei Gläser Tee.« Simone warf ein paar Scheine auf den Tisch, und gemeinsam gingen sie zu ihren Autos. Nikkis alter Kleinwagen stand zwei Parklücken entfernt von Simones sechs Monate altem BMW-Cabrio. Die mit Kopfstein gepflasterte Straße lag verlassen und dunkel da, und Nikki erblickte niemanden, der in den Schatten lauerte. Trotzdem war sie ein wenig nervös, und bevor sie einstieg, kontrollierte sie gründlich das Wageninnere. Doch sie fand nichts Auffälliges. Sie wollte den Motor anlassen – er zündete nicht. Wie so oft. Sie trat aufs Gas, drehte den Zündschlüssel und sah Simone aus der Parklücke fahren. »Ach, zum Kuckuck noch mal.« Sie versuchte es erneut, der Motor hustete und erstarb dann ruckelnd. Die roten Punkte von Simones Heckleuchten wurden in der Ferne immer schwächer. Nikki brach der Schweiß aus. Sie dachte daran, dass Simone bemerkt hatte, wie ein Kerl sie anglotzte. Aber glücklicherweise war sie nicht allein; weitere Gäste verließen in Abständen das Restaurant, und außerdem hatte sie ja ihr Handy. Abermals drehte sie den Schlüssel, und diesmal sprang der Motor an. Behutsam gab Nikki Gas und lenkte den Wagen auf die Straße. Erleichtert nahm sie die nächste Kurve, allerdings ein bisschen zu schnell.
Sie kam zu spät, wie üblich.
Aber ganz gleichgültig, was geschah, ihr Treffen mit Cliff Siebert wollte sie auf keinen Fall versäumen. Mitten in der Kurve begann der Subaru zu schleudern. Lief nicht rund. Das Steuer fühlte sich merkwürdig an … »Verdammt noch mal.« Nikki fuhr an den Straßenrand und stieg aus, um zu prüfen, was los war. Dir linker Reifen war platt wie ein Pfannkuchen. Die anderen verloren Luft. »So eine verdammte Scheiße …« Sie trat gegen den flachen Reifen und fluchte
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