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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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das für ein Gefühl, Professor Sina, wenn man die eisige Hand des Todes auf der eigenen Brust fühlt, die letzten Sandkörner durch das Stundenglas rieseln sieht und einem Kugeln um die Ohren fliegen? Antworten Sie nicht, ich weiß es«, fuhr der Unsichtbare fort. »Plötzlich taucht sie unvermittelt auf, die Frage nach dem Sinn des eigenen Daseins, nicht wahr? Wozu die Jahrzehnte des Studiums, wozu das jahrelange Trainieren mit den Messern auf Ihrer Burg? Ja, Professor Sina, wozu das Messerwerfen? Ich glaube nicht, dass Sie eine Zweitkarriere als Artist im Zirkus beginnen wollten. Wollten Sie jemanden umbringen? Lautlos und überraschend? Wagner etwa, weil er Ihre Frau auf dem Gewissen hat?«
    »Ach halten Sie doch den Mund!«, explodierte Sina. Er war mit einem Mal leichenblass.
    »Und jetzt, Professor, gehen Sie ein Stück nach rechts, ja genau so.« Sina durchfuhr es wie ein Blitz – er sah sie, der Unbekannte sah sie! Er blickte auf und sah die Sicherheitskameras. Stumm bedeutete er Wagner, zu ihm zu kommen. Dann zeigte er mit dem Finger auf die Kameras. Wagner sah ihn an, sah die Kameras an, sah wieder Sina an und hatte verstanden.
    »Ich bin schon auf dem Weg, Georg, mir reicht das jetzt«, rief Wagner beim Anblick seines entsetzten Freundes und lief aus dem Ausstellungsraum in Richtung Eingang.
    »Schade, Ihr Freund Paul Wagner ist also bereits unterwegs und jetzt haben wir nicht mehr so viel Zeit, Professor. Das werden Sie noch bereuen … Aber wie immer in dieser Geschichte ist vielleicht alles ganz anders, als es aussieht?« Er ließ das Ende des Satzes in der Schwebe.
    Sina stand da wie eine Salzsäule. Mit verkrampften Fingern drückte er das Handy gegen sein Ohr. Er spürte, wie seine Beine weich wurden und der Boden unter ihm nachgab.
    »Werden Sie mir jetzt ohnmächtig, Professor Sina?«, höhnte die Stimme. »Stünde ich Ihnen gegenüber, Sie könnten mir ins Gesicht schlagen, wie Sie es immer getan haben, wenn Sie die Kraft verlassen hat. Oder wie war das damals im Schwimmbad, als der Mädchenschwarm der Schule mit Ihrem Badetuch den Boden aufgewischt hat und alle Sie ausgelacht haben? Das Nasenbein haben Sie ihm gebrochen und den Unterarm, nicht wahr?«
    Sina nickte schweigend. Vor seinem geistigen Auge passierte die schreckliche Szene nochmals. Er hörte das Knacken der Knochen und Knorpel, sah den Schwall roten Bluts, hörte die hereinbrechende Stille und spürte die Überlegenheit seinen erstmals voll aufgerichteten Körper durchzucken. Woher wusste der Unbekannte diese Details aus seinem Leben?
    »Sie wären im Jugendgericht gelandet, hätte nicht Ihr Vater … Aber lassen wir das. Das ist nicht unser Thema. Und doch ist es das.« Der Fremde klang unerträglich gönnerhaft.
    Sina konnte das Gefühl nicht loswerden, der Unsichtbare erfreute sich an seiner misslichen Lage, seiner Hilflosigkeit und seinem Ausgeliefertsein. Der Wissenschaftler schaute sich um, aber da war niemand außer dem Aufseher.
    »Wundern Sie sich nicht, Professor, ich weiß mehr, als Sie glauben. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich ein Fan bin. Ich habe Sie beobachtet, Ihr ganzes Leben lang war ich Ihr Schatten. Ich habe verfolgt, wie Sie sich vorbereitet haben, ohne zu wissen, worauf. Ich habe Ihre Diplomarbeit, Ihre Dissertation und Ihre Habilitationsschrift gelesen. Alle über Friedrich, den unterschätzten Kaiser. Das war sehr schmeichelhaft … Sie haben es gespürt, dass da draußen etwas auf Sie wartet, das größer ist als alles andere, seit den Tagen Ihrer Kindheit. Warum waren gerade Sie das Ziel des Spottes im Schwimmbad, Sina?«
    »Ich weiß es nicht«, log Sina.
    »Lügen Sie mich nicht an!«, herrschte ihn die Stimme an.
    Georg zuckte zusammen, erinnerte sich und spürte seinen Körper schrumpfen. Die Muskeln verschwanden, und übrig blieb ein bebender kleiner, geduckter und übergewichtiger Knabenkörper.
    In ruhigem Ton fuhr der Unsichtbare fort: »Weil Sie der Prügelknabe waren, Sina. Klüger als die anderen, im Sport eine Niete und als Ihre besten Freunde haben Sie sich Bücher gewählt und keine Menschen. Oder nicht?«
    »Doch …«, flüsterte Sina.
    »Aber Sie wurden langsam größer und stärker. Dann haben Sie Ihren Konkurrenten den Hochmut aus dem Gesicht geschlagen. Jedem Spötter und Zweifler sollte Gleiches widerfahren. Und allen voran Ihrem Vater …«, hörte Georg den Mann sagen und begann zu schwitzen.
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte Sina mit zitternder Stimme.
    »Sie sollen

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