Ewig
selten hierher und so gab es kaum Feste oder prunkvolle Ereignisse auf dem Chemnitzer Schloss. Es ist traurig«, und ihre Stimme rutschte eine Oktave tiefer, »aber es wurde dem Verfall preisgegeben und im 19. Jahrhundert diente es als Lager, Lazarett und schließlich den Franzosen als Nachschubmagazin. Die Kirche aber blieb bestehen und trotz jahrzehntelanger Vernachlässigung ist sie heute schöner denn je. Nun ist es eine evangelisch-lutheranische Kirche, keine fünf Minuten von hier.« Sie musste Luft holen und Paul nutzte die Gelegenheit und breitete seinen Stadtplan aus.
»Könnten Sie mir zeigen, wo genau das ehemalige Schloss stand und wo die Kirche ist?«
»Aber selbstverständlich, schauen Sie …« Während die Mitarbeiterin der Information und Paul sich über den Plan beugten, sah sich Sina in der großen Halle um. Auf den ersten Blick konnte er niemanden entdecken, der sie beobachtete oder ganz offensichtlich auf sie wartete. Er zuckte die Achseln und wandte sich ebenfalls dem Plan zu, auf dem nun ein großer roter Kreis den Ausgangspunkt ihrer Suche markierte.
Als Wagner seinen Freund am Arm in Richtung Ausgang und Taxis zog, sah ihnen die Dame von der Touristen-Information fast bedauernd nach. Sie beachtete weder den Chinesen mit dem hochgeschlagenen Mantelkragen, der seine Zeitung zusammenfaltete und sich langsam in Richtung Ausgang in Bewegung setzte, noch den hochgewachsenen grauhaarigen Mann im dunklen Anzug, der plötzlich jedes Interesse an der Auslage eines Buchgeschäftes verloren hatte und nun Sina und Wagner langsam folgte.
Das Taxi entließ sie in das dichte Schneetreiben vor einem großen Steinbogen, der wie ein Überrest des alten Benediktinerklosters aussah. Links und rechts davon lief nur eine unregelmäßige niedrige Mauer entlang dem Park, auf der sich nun der Schnee sammelte. Der imposante Bau einer eckigen Kirche erhob sich in einiger Entfernung vor ihnen, an den sich ein moderner Bau anlehnte. Darauf stand in dunklen Metallbuchstaben »Stadtmuseum« geschrieben. Der große Park davor war wie ausgestorben, als Sina und Wagner über die verschneiten Wege zur Kirche gingen.
»Bei unserem Glück ist sie versperrt, der Pfarrer krank und seine Vertretung hat den Schlüssel verlegt«, knurrte Wagner und versuchte, den Plan und die Stadtinformationen unter seiner Jacke trocken zu halten.
»Falsch«, meinte Sina und wischte sich den Schnee von den Haaren, »sie ist offen, der Pfarrer nett und auskunftsfreudig und er hat überhaupt keine Vertretung, weil er die Gesundheit in Person ist. Wollen wir wetten?«
»Bin dabei«, antwortete der Reporter, »Einsatz?«
»Wie wär’s mit einem extensiven Abendessen in einem Restaurant meiner Wahl?«, schlug Sina vor.
»Wieso deiner Wahl?«, fragte Wagner verblüfft.
»Ganz einfach, weil ich gewinne«, lachte Sina und drückte die Tür zur Schlosskirche auf, die lautlos nach innen schwang. »Der erste Gang ist mir schon sicher, fang an zu sparen, Paul.«
Bischof Frank Kohout sah Wagner und Sina von seinem Platz im Auto aus in der Kirche verschwinden, als sein Handy läutete. Er hoffte, dass es Schwester Agnes sein würde und schaute auf das grün erleuchtete Display. Aber es war die Nummer eines jener Telefone, die seine Männer nach Wien mitgenommen hatten. Kohout nahm das Gespräch mit einem knappen »Ja« an und lauschte, während er das Tor der Kirche nicht aus den Augen ließ.
Wortlos und wütend legte er drei Minuten später wieder auf. Er hasste es, wenn seine Männer Fehler machten. Aber er hasste es noch viel mehr, wenn er so wie am heutigen Tag von allen Seiten nur verwirrende Nachrichten erhielt. Zuerst den anonymen Anrufer, der ihn so selbstlos und präzise auf die Spur von Wagner und Sina brachte, dann der Bericht aus Wien, dass ein Unbekannter den Wagen in die Luft gesprengt und eines der Mitglieder des Rats der Zehn erschossen hatte. Was war geschehen? Gab es außer den Chinesen noch eine weitere Gruppe, die plötzlich aufgetaucht war und nun ihren Platz im Rennen um das große Geheimnis beanspruchte? Einerseits half sie dem Orden und andererseits bekämpfte sie ihn? Oder waren das gar nicht dieselben Kräfte, die hinter dem Anruf und der Sprengung standen? Gab es weitere Interessenten, von denen er gar nichts wusste?
Kohout schüttelte den Kopf. Das alles dauerte bereits viel zu lange. Sie hätten den Reporter und den Wissenschaftler schon viel früher aus dem Verkehr ziehen sollen, zu einem Zeitpunkt, als Pater Johannes
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