Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
Vom Netzwerk:
Anstalten, das Tor wieder zu schließen.
    »Warte, Georg, bitte!«
    Irgendetwas in der Stimme Wagners ließ Sina innehalten, ein Unterton, der ihn alarmierte. Wie früher, viel früher …
    Der Reporter sah Sina zurücktreten, hinter den Torflügeln verschwinden und wollte sich schon resignierend umdrehen und wieder gehen, als er ein Geräusch hörte, das so laut und drohend klang, dass er unwillkürlich den Kopf einzog. Da sah er, wie sich das Fallgatter langsam hob, erst wenige Zentimeter, dann immer höher und schließlich rastete es in zwei Meter Höhe ein und bewegte sich nicht mehr. Die Stille danach war umso drückender. Wagner blieb, wo er war, und wartete ab. Rund um die Burg schien die Zeit zu versickern wie Wasser im Sand.
    Sina trat hinter dem Torflügel hervor, schaute Paul Wagner an, dann drehte er sich um und ging voran in den Burghof.
Santarem/Portugal
    M iguel Almeida fischte im Tejo, so lange er sich erinnern konnte. Die Sandbänke im Fluss bei Santarem, nördlich von Lissabon, zwischen denen sich der Tejo im Sommer träge durchschlängelte, waren jetzt, im Frühjahr, kleiner als sonst. Almeida war spät dran, seine Enkelin hatte ihn mit ihrem berühmten Augenaufschlag gebeten, ihr Fahrrad zu reparieren und er war natürlich schwach geworden. Nun, als er am Nachmittag ans Wasser trat, in seinem vertrauten Revier, war es ihm, als käme er nach Hause. Er bereitete die Köder vor, legte den Kescher zurecht und wollte gerade die Angel auswerfen, als er den ersten toten Fisch sah, der mit dem weißen Bauch nach oben wie ein deplacierter Farbfleck langsam schaukelnd flussabwärts trieb.
    Und dann folgte etwas, das Almeida sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen würde: Wie in einem Albtraum tauchte ein toter Fisch nach dem anderen auf, ein weißer Bauch nach dem anderen trieb in den kleinen Wellen, bis es hunderte und tausende waren. In allen Größen schaukelten sie an Almeida vorbei, der wie versteinert dastand und mit weit aufgerissenen Augen das Schauspiel verfolgte und es doch nicht fassen konnte. Der Tejo schien die Fische auszuspucken, sie zu erbrechen, als ob der Fluss sich weigern wollte, ihnen weiterhin ein Zuhause zu bieten. Der Fischer verfluchte sich dafür, dass er sein Handy immer zu Hause ließ, um nicht von seiner Frau gestört zu werden. Er ließ die Angel fallen und rannte los.
Burg Grub, Waldviertel/Österreich
    P aul Wagner tränten die Augen. Das offene Feuer im Kamin qualmte bei dem feuchten Wetter mehr, als es wärmte. Sina hatte im Wohngebäude der Burg einige Räume so weit hergerichtet, dass man darin überleben konnte. Sie gemütlich zu nennen, das wäre Wagner nicht in den Sinn gekommen. Er wagte gar nicht darüber nachzudenken, wo das Bad und die Toilette sein würden – und vor allem in welchem Zustand.
    Die rohen Mauern waren großteils unverputzt, der Boden bestand aus großen, gelblichen Steinplatten, die wohl ursprünglich aus einer Kirche stammten. Sie waren blankgeschliffen, als ob Generationen von knienden Pilgern darüber hinweggerutscht wären. Wagner fragte sich, ob ihre Gebete erhört worden waren.
    Die Einrichtung des großen kalten Raumes war funktionell, abgewetzt und sah aus, als käme sie direkt vom nächsten Flohmarkt. Das einzig anheimelnde Stück war ein Sofa, das Tschak in Beschlag genommen hatte. Wagner zog einen Sessel zu sich, der so unbequem war, wie er aussah und beneidete den Hund. Es roch nach Rauch und Kälte.
    Als Georg Sina mit zwei großen Bechern heißem Tee, einer Flasche Rum und einem Handtuch unter dem Arm in der Tür auftauchte, sprach Wagner ein stilles Dankgebet. Der Wissenschaftler hatte nach wie vor kein Wort mit ihm geredet. Schweigend reichte er Wagner das Handtuch und stellte den dampfenden Becher vor ihm auf den Tisch. Dann setzte er sich in einen abgewetzten Lehnstuhl, der einmal dunkelrot gewesen sein musste, nippte an seinem Tee und schaute zum Fenster hinaus, dem Nebel zu, der immer dichter um die Burg zog.
    »Ich weiß jetzt, warum ich als Kind nie Ritter spielen wollte«, sagte Wagner und schaute sich um. »Das karge Burgleben steht auf meiner Skala der sinnlichen Wohnerlebnisse ziemlich weit unten.«
    Sina schaute unverwandt durch das Fenster und schien ihn nicht zu hören. Der Reporter fröstelte, hielt sich am heißen Becher Tee fest und vermisste seine warme Remise geradezu körperlich.
    »Wenn du nicht mit mir reden willst, Georg, dann hör mir wenigstens zu.« Wagner zog die Schultern hoch, wie um sich gegen die

Weitere Kostenlose Bücher