Ewig
Faust in den Schnee.
Valerie hörte die Schüsse, vertraute dem Stadtplan und durchbrach die rot-weiß-rote Absperrung des Eissportzentrums mit Vollgas. Die Stücke der Schranke flogen nach allen Seiten, da war auch schon die nächste Ecke da und Goldmann riss den Wagen nach links, schlitterte nur wenige Zentimeter von der Hauswand entfernt dahin und fing den Mazda wieder, bevor schon die nächste Häuserecke auf sie zuflog und die schmale Straße einen weiteren scharfen Knick machte. Sie sah aus den Augenwinkeln den Wegweiser »Zur Eisschnelllaufbahn« vorbeifliegen und nutzte die lange Gerade vor sich, um mit einer Hand das Schiebedach zu öffnen. Dann war auch schon das zweiflügelige grüne Gittertor da, das glücklicherweise nur zur Hälfte geschlossen war.
Der kleine Mazda röhrte durch das Tor und Valerie bog scharf links ab, sah eine Lücke in den blauen Seitenabdeckungen und war auch schon auf der 400-Meter-Bahn. Sie raste an den Chinesen in ihrer Deckung vorbei und erfasste die Lage mit einem Blick. Es sah nicht rosig aus. Wagner und Sina kauerten zwischen den Chinesen und den Bewahrern hinter einer lächerlich niedrigen Mauer, die man kaum Deckung nennen konnte. Valerie zog die Handbremse und peilte die kleine Rampe an, die von der Bahn hinunter auf den Eishockeyplatz führte. Sie war schneebedeckt und so rutschig, wie sie aussah. Der kleine Mazda rodelte mehr, als er fuhr und es blieben keine zehn Zentimeter Beton links und rechts von den Rädern.
Die Schüsse verebbten schlagartig, als der rote »Pizza-Expresss« über den verschneiten Eishockeyplatz tobte und Valerie durch das Schiebedach zwei Nebelgranaten in das Schneetreiben schleuderte. Mit einem Mal war die Welt weiß und undurchdringlich im Zentrum des Ovals, die Stille erschreckend. Sina und Wagner hoben überrascht den Kopf und sahen wie durch einen weißen Vorhang die Buchstaben »Pizza-Expresss« leuchten. Sie schauten sich an.
»Nein, ich hab keine bestellt«, konnte sich Wagner nicht verkneifen und dann wurde auch schon die Tür des kleinen roten Auto aufgestoßen und dem Reporter stockte der Atem. Clara! Clara lebte! Sie war wieder da! Sie saß am Steuer, nein, es war Claras ältere Schwester, oder? Wie war das möglich? Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Georg Sina schien nichts zu merken und war schon dabei, auf die Rückbank zu klettern, froh über das Pizza-Wunder. Wagner sprang auf und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, sprachlos, völlig überwältigt. Er schlug die Tür zu und wie auf Kommando begannen die Schüsse wieder. Der Nebel lag noch immer undurchdringlich über dem Spielfeld, schien sich rund um den Wagen zu ballen und Clara – nein, es war nicht Clara, es war nicht ihre Stimme, dachte Wagner – herrschte ihn an:
»Fenster auf! Sofort!«
Verzweifelt tastete Wagner nach dem Schalter, fand ihn und dann schnurrte auch schon das Fenster nach unten. Er sah die Fahrerin an. Sie legte den Gang ein, beschleunigte und griff gleichzeitig zwischen ihre Beine hinunter in den Fußraum. Mit grimmigem Gesichtsausdruck zog sie eine Uzi-Maschinenpistole hervor und hielt sie mit einer Hand Wagner vors Gesicht. Dann drückte sie ab.
Als der kleine rote Flitzer um die Ecke geröhrt und schleudernd auf die Eisbahn eingebogen war, hatte er damit Frank Kohout völlig aus dem Konzept gebracht. Es gibt also doch noch eine dritte Kraft in diesem Wettlauf, dachte er sich angesichts der Reaktion der Chinesen. Die schienen genauso überrascht wie er und hörten auf zu schießen, als das Auto die schmale Rampe hinunterrutschte und dann die beiden Granaten aus dem Schiebedach flogen. Jetzt sah Kohout außer Weiß gar nichts und wusste nicht einmal mehr, wo der kleine rote Flitzer geblieben war. Der künstliche Nebel in Verbindung mit dem starken Schneefall hatten einen dichten Vorhang vor die Eishockeyplätze gezogen.
Immer dann, wenn man den Wind braucht, ist er nicht da, schoss es Kohout durch den Kopf, als plötzlich ein Feuerstoß aus der weißen Wolke ihn und seine Männer in ihre Deckung zwang. Die Kugeln schlugen rund um sie ein und rissen Teile der Holzverkleidung der Bänke auf, die Splitter flogen wie kleine Schrapnelle durch die Luft. Eines bohrte sich in die Wange Kohouts und er spürte das warme Blut über sein Kinn rinnen. Auch die Chinesen waren wieder aus ihrer Erstarrung erwacht und hatten offenbar beschlossen, Wagner, Sina und den Unbekannten im roten Auto zu unterstützen. Sie schossen sich auf Kohout und seine
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