Ewig
kostete mehr als zwei Millionen Chinesen das Leben. Aber er begründete den Beginn des chinesischen Kaiserreichs und die einheitliche Schrift, die er einführte, wurde zum Fundament der chinesischen Kultur. Das hätte er ohne den Totalitarismus und seine Härte wohl nie erreichen können«, meinte Pater Pius und zog aus einem Stapel ein altes, fleckiges Buch, das er in der Mitte aufschlug.
»Was für ein Mensch war der Kaiser?«, fragte Wagner und der Missionar hob die Augenbrauen.
»Einer der wichtigsten Kaiser Chinas, wenn nicht der wichtigste überhaupt. Er begann den Bau der Chinesischen Mauer, die zu seinem Tod bereits mehr als viertausend Kilometer lang war und er scheute sich nicht, dafür 300.000 Arbeiter zu rekrutieren. Für sein Mausoleum sollen es sogar 700.000 Menschen gewesen sein, eine unvorstellbare Zahl. Trotzdem arbeiteten sie dreißig Jahre lang an dem gewaltigen Vorhaben.« Pater Pius blätterte in dem alten Buch vor und zurück und suchte offenbar etwas.
»Heute ist Qin Shihuangdi vor allem für die riesige Armee von Tonsoldaten legendär. Er ließ achttausend Krieger erschaffen, jeder ein Unikat. Bis heute rätselt man, wozu diese riesige Armee gut sein sollte, ob sie ihn auf dem Weg in das Leben nach dem Tod begleiten oder sein Mausoleum beschützen sollte. Doch die Soldaten sind nur ein winziger Bruchteil dessen, was in Xi’an noch auf die Ausgrabung wartet. So spricht man von einem kompletten nachgebildeten Hofstaat, der sich auf eine Länge von über einhundertachtzig Kilometer erstrecken soll.«
Sina sah Pater Pius ungläubig an. »Ist das nicht ein wenig hoch gegriffen?«, fragte der Wissenschaftler den Missionar.
»Sie vergessen, Professor, dass die Größe des gesamten Gräbergebietes in Xi’an fast sechs Mal so groß wie etwa das Ruhrgebiet ist«, gab Pater Pius zu bedenken. »Es ist die wohl größte bekannte Grabanlage, manche bezeichnen es als das achte Weltwunder.«
»Ich habe selbst einen Teil der Ausgrabungen besichtigt, als ich mit meiner Frau in China zu Besuch war«, erinnerte sich Sina und Pater Pius hörte aufmerksam zu, »und wir hatten damals den Eindruck, dass die Sicherheitsvorkehrungen ein wenig seltsam waren. Sie schienen nicht so sehr auf Eindringlinge von außen zugeschnitten zu sein, sondern eher darauf, niemanden von der Armee oder des Kaisers Hofstaat entkommen zu lassen.« Der alte Missionar nickte.
»Ja, den Eindruck hatte ich auch, das ist eine seltsame Geschichte. Ich habe lange in der Nähe von Xi’an gelebt und es gibt eine Reihe von Besonderheiten, aus denen ich auch nie klug werden konnte. So haben die chinesischen Archäologen sich bis heute nicht getraut, den Grabhügel des Kaisers zu öffnen. Die Legende besagt, dass er auf einer Barke begraben sei, die auf einem Quecksilbersee schwimme, der von Quecksilberflüssen gespeist werde. Tatsächlich hat man bei Untersuchungen rund um die Grabpyramide einen überdurchschnittlich hohen Quecksilberwert im Boden festgestellt.«
Pius schwieg und zog lange an seiner Pfeife. Dann fuhr er fort: »Aber ich wollte Ihnen aus diesem Buch vorlesen, was der damalige Historiker Sima Quian, Zeitgenosse des Kaisers, über das Grabmal berichtete.« Pater Pius setzte eine randlose Brille auf und zitierte:
»An einer hohen Decke sind tausende von Perlen und Edelsteinen befestigt, die den Sternenhimmel symbolisieren sollen. Auf dem Boden jedoch befindet sich ein Panorama von China, in dem alle Seen und Flüsse aus Quecksilber nachgebildet wurden. Die Flüsse sollen durch einen Automatismus ständig fließen. In der Mitte der Halle, auf einem See aus Quecksilber schwimmend, befindet sich der Sarg des ersten Kaisers von China.«
Er schaute Sina über den Rand der Brille hinweg an. »Wissen Sie, Professor, die Chinesen haben großen Respekt davor, die Grabkammer des Kaisers zu öffnen. Andere sagen, sie haben Angst. Ich persönlich glaube nicht, dass sie es in den nächsten fünfzig Jahren machen werden. Aber es kommt noch etwas anderes dazu.« Der Missionar zögerte und schaute erst den Wissenschaftler und dann den Reporter an. »Sie haben über die Sicherheitsmaßnahmen gesprochen. Nun, was ich Ihnen jetzt erzähle, sind Fakten. Sie müssen sich Ihr eigenes Bild davon machen, ich werde keine Schlüsse ziehen.« Pater Pius lehnte sich zurück und schloss die Augen. Als er zu erzählen begann, war es völlig still in dem kleinen Raum und was sie hörten, klang so unglaublich, dass Wagner und Sina ihren Ohren nicht
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