Ewig
trauten.
»Im Alter von 38 Jahren ergriff Qin Shihuangdi das königliche Schwert, das Symbol der Macht. In diesem Jahr erschien der Komet über China, der große Stern, und der Kaiser hielt es für ein Zeichen des Himmels, dass die Götter mit ihm seien. Er hatte Recht. Er regierte elf Jahre lang unumstritten und entging glücklich mindestens zwei Attentaten. Eine Folge hatten die missglückten Mordversuche trotzdem: Sie schürten im Kaiser eine große Furcht vor dem Tod. Aber er glaubte fest daran, dass auch der Tod besiegbar sei und ihm als gottgleichen Kaiser das Anrecht zukäme, die Unsterblichkeit zu erlangen.«
»Qin Shihuangdi wollte unsterblich werden?«, fragte Wagner ungläubig.
Pater Pius nickte. »Als er auf einer seiner Inspektionsreisen zum ersten Mal von den China vorgelagerten ›Inseln der Unsterblichkeit‹ hörte, schickte er dreitausend Mann aus, die ihm das Elixier des Lebens beschaffen sollten. Die Expedition kehrte angeblich nie wieder zurück oder die Geschichtsschreiber berichteten zumindest nichts darüber. Vielleicht hatte der Kaiser einfach verboten, darüber zu reden oder zu schreiben. Irgendetwas muss jedoch damals passiert sein. Der Kaiser umgab sich ab diesem Zeitpunkt mit Schamanen und Alchemisten und gab Unsummen an Staatsgeldern aus, um Forschungen zu finanzieren und er wollte endlich Resultate sehen. Hatte er Angst, dass der Tod nicht wartete?«
Wagner und Sina schauten sich an und wagten es nicht, den alten Missionar zu unterbrechen.
»Dann wird es noch mysteriöser. Der Kaiser hinterließ nie einen letzten Willen und viele sagen, man sah und hörte ihn noch nach seinem angeblichen Tod. Ob er wirklich in seinem Mausoleum begraben liegt, das weiß bis heute niemand und man wird es auch noch lange nicht wissen.« Pater Pius hustete und kam erst langsam wieder zu Atem. »Ein alter chinesischer Historiker, mit dem ich kurz vor seinem Tod sprach, war überzeugt davon, dass Qin Shihuangdi seinen Terrakotta -Soldaten Leben einhauchen könne, wie er sich ausdrückte. Deshalb habe er die Armee aufgestellt. Er wollte wiederkommen und dann über seine eigenen Soldaten verfügen können, eine Streitmacht von ihm ergebenen Elitekämpfern. Der Historiker war davon überzeugt, der erste Kaiser hätte das Geheimnis des ewigen Lebens gehabt, die Macht über Leben und Tod.« Der alte Missionar hatte wieder die Augen geschlossen und zog an seiner Pfeife.
»Legenden und Geschichten, die mit den Jahrhunderten immer mehr ausgeschmückt wurden«, meldete Sina Zweifel an.
Der alte Mann wiegte den Kopf und öffnete die Augen. Dann sah er den Wissenschaftler nachdenklich an. »Professor, Sie werden entscheiden müssen, woran Sie glauben und woran nicht, aber machen Sie nicht den Fehler und ignorieren Sie Fakten. Tatsache ist, die achttausend Elitekämpfer sind auf drei Gruben aufgeteilt, die vierte Grube ist seltsamerweise leer und niemand konnte das bisher schlüssig erklären. Die Krieger, die das Grab des Kaisers bewachen, sind alle zwischen 1,80 und 2,10 Meter groß, also Riesen im Vergleich zu der damaligen durchschnittlichen chinesischen Körpergröße. Sie sind so etwas wie perfekte Menschen aus damaliger Sicht, übergroß, modernst bewaffnet und alle individuell aus Ton geformt, wie etwa auch der Golem von Rabbi Löw in Prag. Vergessen Sie nicht, dass schon in der Bibel steht ›aus Staub bist du und zu Staub wirst du‹.«
»Wollen Sie damit sagen …«, begann Sina, aber der alte Mann hob seine sehnige Hand und unterbrach ihn.
»Ich habe nur die Tatsachen aufgezählt, Professor Sina. Nehmen Sie dann noch die seltsamen Sicherheitsmaßnahmen in Xi’an, die Angst der Archäologen vor dem Grabhügel des Kaisers und die Tatsache, dass der Leichnam nie gefunden wurde und dann müssen Sie selbst entscheiden, was Sie glauben und was nicht.«
Als Wagner und Sina wieder vor St. Gabriel standen, hatte es angefangen zu regnen.
»Tut mir leid, aber der alte Herr war doch etwas weniger hell im Kopf, als es anfangs aussah«, bemerkte der Reporter bedauernd.
Der Wissenschaftler nickte nachdenklich. »Ja, es sieht so aus, als unterscheide er nicht mehr zwischen Legenden und Tatsachen. Ich finde, es gibt so gut wie keine Gemeinsamkeiten zwischen Friedrich und Qin Shihuangdi. Der eine ein Kaiser, der nie kämpfen wollte, ein anderer, der mit dem Schwert eine Weltmacht begründete. Friedrich ein geiziger, in sich verschlossener Mensch des Mittelalters, der von Prunk und Pracht nichts hielt. Der
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