Ewig
hatte inzwischen Tschak von seinem Platz am Kirchentor geholt und führte ihn an der Leine. Als der kleine Hund Gavint sah, strich er um seine Beine, schnüffelte, stellte dann die Nackenhaare auf und knurrte.
»Du hast offenbar ein gutes Gespür für Menschen, mein Kleiner«, flüsterte der Reporter Tschak ins Ohr und hob ihn vorsichtshalber zu sich auf den Arm.
»Gib ihn mir, bevor er noch ausfällig wird«, meinte Georg, nahm Tschak zu sich und kraulte ihn beruhigend zwischen den Ohren.
Der Südafrikaner betrachtete Mann und Hund herablassend und verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen. Angewidert wandte er seinen Blick von Tschak ab und zeigte hinauf zu den drei Heiligenfiguren.
»Es geht zunächst nicht um Maria, sondern um die Frau links von ihr«, erklärte er kurz angebunden.
»Das ist die heilige Barbara«, antwortete Sina, »und die Figur rechts von Maria ist die heilige Katharina. Das weiß ich auch so. Was ist daran so Besonderes?« Tschak schnurrte wie eine Katze und genoss das Kraulen.
»Wissen Sie, Professor, nur weil diese Wappenwand und die Figuren unbemalt sind, heißt es doch nicht, dass hier keine Farben im Spiel sind«, bemerkte Gavint fast beiläufig und beobachtete aus den Augenwinkeln aufmerksam Georgs Reaktion.
Armer Tschak, dachte Paul, der mit halbem Ohr zuhörte, wenn ihn Georg so angestrengt weiterkrault, dann hat er bald eine Glatze.
Sina konzentrierte sich. »Aber natürlich«, rief er dann, »die schwarze Barbara und die rote Katharina! Schwarz und Rot sind die traditionellen Farben ihrer Gewänder.« Er blickte nochmals hinauf und dann überlegte er laut: »Maria ist eine Jungfrau … unbefleckt … Also ist sie weiß!«
»Denken wir in alchemistischen Begriffen«, forderte Gavint den Wissenschaftler auf. »Was bedeutete das?«
Georg musste nicht lange überlegen. »Barbara ist die Schwärze, die gereinigt werden muss, Maria ist die Reinigung, und das Rot der Katharina ist die alchemistische Vollendung, der Stein der Weisen?«
»Genau«, stimmte Gavint zu, »die drei alchemistischen Reichsfarben, die drei Steine aus der Legende vom Priesterkönig Johannes, wenn Sie von der schon einmal gehört haben.«
»Sie wissen sehr viel«, gab Sina zu, schaute an der grauen Wappenwand hoch und verstand die Symbolik mit einem Mal. Er dachte laut nach. »Barbara, Nothelferin in der Stunde der Sterbesakramente, ist die Schwärze. Maria, die weiße, reine Jungfrau, gebar den Menschensohn, Jesus Christus, der mit seinem Opfertod die Reinigung herbeiführte. Katharina, Nothelferin aller Studierenden, Schutzherrin der Universität und des Wissens, steht mit ihrem Rad für das unendliche Reich Gottes, das der Messias mit seiner Auferstehung von den Toten eingeleitet hat. Jesus hat demnach den Tod besiegt und das Reich Gottes eingeleitet. Das ist in mittelalterlicher Sakralkunst eine übliche Botschaft.«
Gavint nickte bestätigend und lächelte wieder sein nachsichtiges Lächeln. Paul kam sich vor wie ein Schulbub, der nur die Hälfte verstanden hatte. »Die Kirschen!«, warf er ein, »warum hält uns Jesus Kirschen hin?«
»Kirschen sind gut gegen Arthritis! Erinnerst du dich an den Schottenaltar mit all seinen Gräsern und Kräutern und Früchten?«, fragte Georg den Reporter.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt, deinen Energydrink brauen wir ein anderes Mal«, seufzte Wagner und verdrehte die Augen.
»Oh!«, machte der Südafrikaner erfreut. »Sie erproben ein Rezept? Erzählen Sie mir mehr davon.«
»Wir erproben gar nichts, vergessen Sie es«, winkte Paul ab. »Wissen Sie etwas über die Kirschen im Korb?«
»Vordergründig handelt es sich um Steinobst, aber eigentlich sind Kirschen nur kleine runde rote Kügelchen, vergessen Sie das nicht«, gab Gavint gut gelaunt zu bedenken.
»Jetzt bin ich genauso gescheit wie vorher«, stellte Paul resignierend fest und schaute hilfesuchend zu Sina, der mit den Schultern zuckte.
Der Südafrikaner wurde wieder ernst. »Friedrich hat seine Hinweise immer auf mehreren Ebenen versteckt, das sollten Sie bei Ihrer künftigen Suche nicht vergessen.«
»Sie sind bemerkenswert gut informiert«, gab Sina zu, »sind Sie Historiker?«
Gavint lächelte anerkennend. »Touché, Professor Sina, allerdings Hobbyhistoriker. Es gehört zu meinem Beruf, gut informiert zu sein. Es ist sozusagen meine Lebensversicherung, die Hintergründe zu kennen.«
»Und was ist Ihr Beruf?«, wollte Paul wissen.
»Schutzengel zu spielen für Suchende und Irrende«,
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