Ewig
lächelte, seine Augen jedoch blieben unbewegt. »Wir haben uns heute bereits ausführlich am Telefon unterhalten«, meinte der alte Mann, »aber wir haben nicht über das Wesentliche gesprochen, nämlich über Friedrichs Geheimnis, dem Geheimnis der Unsterblichkeit. Nachdem ich Wagners Berichte gelesen hatte, stand für mich fest, dass der Habsburger die Macht des ewigen Lebens hatte. Stimmt das?«
Valerie schaute in Winebergs braune Augen, die das Alter bereits ein wenig getrübt hatte. Sie sah einen Mann, der seine schwangere Frau angesichts der braunen Gefahr im Stich gelassen und sich aus dem Staub gemacht hatte. Einen Alfred Wimberger, der nie wieder zurückgeschaut, keinen Gedanken an seine Familie verloren hatte und nun mit einem Mal an seine Enkelin dachte.
Valerie antwortete mit einer Gegenfrage. »Warum erinnern Sie sich ausgerechnet jetzt an Ihre Familie, Mr. Wineberg? Nach einem Weltkrieg und der Shoa, nach einem ganzen Menschenleben fällt Ihnen plötzlich ein, dass Sie eine Enkelin haben? Warum hat Sie dann ihre Tochter nie gekümmert? Ich will es Ihnen sagen, Herr Wimberger. Es ist nicht Ihre Enkelin, es ist das Geheimnis Friedrichs, das Sie nach Wien gelockt hat. Der Drang, unsterblich zu werden, das Alter und die Krankheit zu besiegen, der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben. Das hat Sie hierher gebracht und nicht ich. Habe ich Recht?«
Der große alte Mann sah die junge Frau nachdenklich an. »Wäre das so verwerflich, so unverständlich?«, fragte er dann ruhig. »Wäre es nicht menschlich zu versuchen, dem Tod zu entkommen, um jeden Preis? Ist das nicht ein Wunsch, der in uns allen schlummert, seit dem Tag, an dem wir geboren werden?« Er drehte sich wieder um und ging langsam an die Fensterfront, hinter der Wien wie in einem Aquarium lag. »Ich habe für mich ein bescheidenes Imperium aufgebaut, nichts im Vergleich zu den wirklich Großen wie Turner oder Murdoch oder Berlusconi, aber ein gewinnbringendes, kleines Reich, das ein wenig Einfluss auf Entscheidungsträger in den USA hat. Es ist das Ergebnis von vierzig Jahren harter Arbeit und wer kann es mir verdenken, dass ich es nicht einfach aufgeben möchte?«
Valerie konnte ihre Verachtung nicht verbergen. »Sehen Sie«, sagte sie zynisch, »es dauert manchmal etwas länger, bis die Gerechtigkeit an einem Punkt angekommen ist, an dem sie schmerzt. Sie haben sich die einsame Welt, in der Sie leben, selbst zu verdanken. Sie haben sie selbst erschaffen und jetzt werden Sie in ihr sterben. Das Geheimnis Friedrichs war so fürchterlich, dass er selbst davor zurückgeschreckt ist. Es war ihm bewusst, dass es das Ende der Zeit eingeläutet hätte.« Valerie schüttelte den Kopf. »Sie haben Ihre Frau dem sicheren Tod preisgegeben, Ihr Kind aus Ihrem Gedächtnis radiert und den Egoismus gelebt, an den Sie geglaubt haben. Sie haben keine Familie, Mr. Wineberg und ich, ich habe keinen Großvater.« Damit drehte sich Valerie um und verließ die Suite. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, klang es wie ein Startschuss in ein neues Leben. Oder wie das Ende eines anderen.
Valerie verließ das Hotel Sacher hinter der Wiener Staatsoper und war kurz ratlos, wohin sie gehen sollte. Passanten strebten eilig an ihr vorbei, einige Männer im Anzug rempelten sie ohne ein Wort der Entschuldigung an und hasteten weiter. Der Verkehr wogte an ihr vorbei und sie fühlte sich mit einem Mal einsam und verloren in dieser hektischen Großstadt, die auf den zweiten Blick jede sprichwörtliche Gemütlichkeit verloren hatte.
Manche Dinge wünscht man sich zu sehen, aber blickt man ihnen einmal ins Gesicht, wäre es besser gewesen, die Augen geschlossen gehalten zu haben, dachte sie und ließ sich in den Trubel fallen und vom Verkehr zur weltberühmten Grafiksammlung der Albertina treiben.
Am Ende des Häuserblocks erkannte Goldmann das für Cineasten weltberühmte Café Mozart. Mit einem traurigen Lächeln dachte sie angesichts dieses legendären Treffpunkts an den gewissenlosen Penizillinschieber und Kriegsgewinnler Harry Lime, der sich trotz seines lausbübischen Charmes mit den menschenverachtenden Methoden der regierenden Stärkeren identifiziert hatte. Ihre Eltern hatten ihr einmal gesagt »Der ›Dritte Mann‹ ist Wien« und nachdem sie Alfred Wimberger getroffen hatte, verstand sie, warum.
Goldmann betrachtete die riesigen Steinklötze des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus auf dem großen Platz vor der Albertina, die wuchtigen Formen mit ihren grob und
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