Ewig
die Treppen zum Eingang der Polizeidirektion hinauf und ignorierte den seltsamen, abschätzigen Blick des wachhabenden Uniformierten am Tor. Der Wissenschaftler ging an ihm vorbei zur Anmeldung, wo ein weiterer Polizist damit beschäftigt war, die Personalien einer jungen Frau aufzunehmen, die offenbar ins Archiv wollte und nun einen Ausweis nach dem anderen vorlegen musste. Als Georg an der Reihe war, sagte er einfach »Sina«.
Der Polizist schaute ihn von oben bis unten an und verzog das Gesicht. »Das heißt für Sie immer noch Polizeipräsident Dr. Walter Sina und ich glaube nicht, dass er jemanden wie Sie sehen will«, stellte der Beamte fest, nachdem er die langen Haare, den wirren Bart, die abgewetzten Jeans und die fleckige Lederjacke registriert und gedanklich eingeordnet hatte: Stadtstreicher. Er wollte schon dem nächsten in der Reihe ein Zeichen geben, da lehnte sich Georg vor, bis sein Gesicht nur mehr Zentimeter von dem des Polizisten entfernt war.
»Beides Mal falsch. Das heißt Professor Dr. Georg Sina und ich bin überzeugt, er will mich sehen. Leider.«
Keine drei Minuten später stand Georg vor der gepolsterten Türe des Büros seines Vaters und wurde im Vorzimmer von einer freundlich lächelnden Sekretärin empfangen, die ihm ungefragt eine Tasse duftenden Darjeeling-Tee in die Hand drückte.
Sina dankte ihr. »Sie sind bemerkenswert gut informiert«, stellte er fest und nippte genüsslich an dem heißen Getränk.
»Das ist meine Aufgabe«, antwortete sie mit einem schelmischen Gesichtsausdruck, den Georg nicht ganz deuten konnte. Dann drehte sie sich um, zog einen großen braunen Umschlag aus der obersten Schublade ihres Schreibtisches und hielt ihn Sina entgegen.
»Ich nehme an, das ist der Grund Ihres Besuches. Ein … Bote hat es gestern Nachmittag hier abgegeben.«
Georg wog das schwere Kuvert in seiner Hand und las »Professor Dr. Georg Sina persönlich« in schwungvollen Lettern geschrieben. Er nippte nochmals an dem Tee, stellte die Tasse ab und war versucht, einfach wieder zu gehen. Da öffnete sich die rotgepolsterte Türe und sein Vater stand da und schaute ihn an. Georg fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und ging ihm dann entgegen.
Dr. Sina forderte ihn mit einer stummen Handbewegung zum Eintreten auf und schloss leise hinter ihm die Tür. »Es ist schön, dass du gekommen bist«, sagte der Polizeipräsident leise und wollte seinem Sohn die Hand auf die Schulter legen, überlegte es sich jedoch und zog sie wieder zurück.
»Das hat Paul eingefädelt, wie immer, du kennst ihn ja«, seufzte Georg und ließ sich in einen der Fauteuils der Sitzgruppe fallen.
Sein Vater nickte und versuchte, über die struppige Frisur und den Bart seines Sohnes hinwegzusehen. »Du und Paul, ihr seid hinter einer großen Geschichte her, habe ich erfahren.« Er schaute auf das Kuvert, das Georg noch immer fest in seiner Hand hielt.
Georg nickte und überlegte sich, ob er seinem Vater etwas über den geplanten Austausch mit Kommissar Berner sagen sollte. Dann entschloss er sich dagegen. »Paul hat mich damit aus meinem Eremitendasein geholt vor …«, Georg dachte nach und meinte nach einer kleinen Pause, »… und es kommt mir so vor, als sei es schon vor langer Zeit gewesen, dabei sind erst ein paar Tage vergangen. Aber Friedrichs Geheimnis war es wert.«
»Wirst du mir einmal die ganze Geschichte aus deiner Sicht erzählen?«, fragte sein Vater vorsichtig.
»Ja, gerne, wenn alles zu Ende ist und du nicht sowieso schon mehr weißt als ich«, gab Georg zurück. Beide schwiegen und schauten auf ihre Hände.
Schließlich gab sich Dr. Sina einen Ruck. »Ich wollte dir schon öfter in den letzten drei Jahren sagen, wie leid es mir wegen Clara tut. Ich weiß jetzt, was sie dir bedeutet hat.« Georg hob den Blick nicht und schwieg. So leicht würde er es seinem Vater nicht machen. Der Polizeipräsident stand auf und ging zum Fenster.
»Du weißt in der Zwischenzeit, dass Paul keine Schuld trifft an dem Unfall.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Der Wissenschaftler nickte.
»Ich habe zwei Untersuchungen in Auftrag gegeben und beide sind zu demselben Resultat gekommen. Er hatte nicht schneller reagieren können und an ein Ausweichen war nicht zu denken. Der Rest war …« Er wollte Schicksal sagen, aber er überlegte es sich noch einmal.
»Du hast Clara nie akzeptiert, wenn ich mich recht erinnere«, meinte Georg leise, »und Mutter auch nicht. Meine Frau hatte ihr Studium
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