Ewig
Bad mit blauem Fries, einer Badewanne und einer Duschecke. Alles war ordentlich, wirkte sehr sauber und aufgeräumt.
Sina hatte währenddessen die zweite Tür geöffnet und blickte in ein helles, mit Biedermeier-Stilmöbel eingerichtetes Wohnzimmer. Alle Schranktüren waren geöffnet, Papiere und Bücher lagen am Boden verstreut in einem einzigen Chaos, andere quollen aus den Schubladen. Der Mann, der vom Lusterhaken am Plafond hing, schwankte leicht, unter ihm lag ein umgestürzter Sessel. Georg Sina fühlte den Puls am noch warmen Handgelenk. Hans Mertens war tot.
Kommissar Berner war schneller als seine Männer von der Mordkommission. Der Anruf Wagners hatte ihn auf dem Weg in sein Büro erreicht, so war er der erste, der die Treppen heraufstürmte, atemlos das oberste Stockwerk erreichte und sich an die Wand lehnte, um wieder zu Atem zu kommen. Sina und Wagner standen vor der Wohnungstür und sahen ihn an.
»Warum ich Sie beide hier finde, darüber reden wir später.« Berner stieß sich von der Wand ab und betrat die Wohnung. Wenige Minuten später kam er wieder heraus ins Treppenhaus, gerade rechtzeitig, um das Team der Spurensicherung einzuweisen. Sein misstrauischer Blick auf Wagner und Sina ließ keine Zweifel offen. Was immer sie sagen würden, Berner würde kein Wort glauben, bis es bewiesen war.
Der Kommissar rieb sich die Hände und streckte seinen Kopf vor wie ein Adler, der seine Beute erspäht hatte. »Reiner Zufall? Sie haben bei Mertens geputzt und dabei den Hausherren erhängt vorgefunden? Ein anonymer Anruf? Eine plötzliche Eingebung? Alles das können Sie vergessen.« Berner zog sein Notizbuch heraus und lächelte grimmig. »Keine Ausreden, keine Ausflüchte und verstecken Sie sich nicht hinter Ihrem Presseausweis, Wagner. Das zieht heute nicht bei mir. Versuchen Sie es nicht einmal ansatzweise.«
Als Paul Wagner vom Treffen mit Mertens im Stephansdom berichtete, blieb er so weit wie möglich bei der Wahrheit. Nur den Artikel in der »Zeit« verschwieg er geflissentlich. Sina überließ ihm das Erzählen und ging in Gedanken nochmals durch, was Mertens ihnen im Dom gesagt hatte. Da war doch nichts Besonderes gewesen. Das meiste wusste er auch schon, bevor er Mertens getroffen hatte.
Dass der alte Mann sich selbst umgebracht hatte, daran glaubte Sina nicht eine Sekunde. Was aber hatte er gewusst, was hatte er so Gefährliches herausgefunden? Friedrich war seit fünfhundert Jahren tot, ein vergessener Kaiser, zwanzig Minuten Stoff im Geschichtsunterricht. Kein Anlass mehr für einen Mord, nein, für noch einen Mord, korrigierte sich der Wissenschaftler. Und doch hatte er den Eindruck, der Habsburger Kaiser sei in den letzten Tagen aus der Vergangenheit heraufgestiegen und stehe mitten unter ihnen, bedrohlich, geheimnisvoll und undurchdringlich. Ein knochiger, hagerer, hochgewachsener Mann im Krönungsornat.
»Haben Sie dazu etwas zu sagen, Professor?« Berners Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. Sina schüttelte schweigend den Kopf.
Der Kommissar wartete noch einen Moment, dann klappte er sein Notizbuch zu und steckte es ein. »Verschwinden Sie«, sagte er zu den beiden, »bevor ich es mir anders überlege. Ich weiß ja, wo ich Sie finden kann.« Damit drehte er sich um, ging in die Wohnung und schloss die grüne Tür hinter sich.
24. Oktober 1601, Benatky bei Prag/Böhmen
E s ging zu Ende mit ihm und er wusste es, der widerliche Metallgeschmack in seinem Mund legte Zeugnis davon ab. Seit zehn Tagen starb er langsam und unabänderlich, sein Geist umwölkte sich immer mehr und ein böses Brennen im Schlund wollte nicht und nicht enden. Im Fieberwahn wiederholte er wieder und wieder den gleichen Satz: »Möge ich nicht vergebens gelebt haben.«
In den wenigen klaren Momenten, die sein Geist ihm noch gewährte, schrieb er an seinem Vermächtnis. Ungeduldig verwarf er immer wieder seine Notizen, begann sie neu. Er durfte nicht zu viel verraten, er hatte schon zu viel entdeckt. Denn er kannte das Geheimnis, für das Kaiser und Könige töten würden. Jetzt bezahlte er selbst dafür mit seinem Leben. Aber was war sein Leben für ein geringer Preis verglichen mit dem Wissen, das er erlangt hatte?
»Ich, Tycho Brahe, Astronom, Mathematiker und Alchemist aus Dänemark, zu Hause am Hof des höchsten Adels, bin dem Geheimnis näher gekommen als irgendein anderer meiner Zeit. Die terrestrische Astronomie, wie ich sie immer nannte, hatte alle meine Erwartungen erfüllt. Nach dreißig Jahren
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