Ewig
um Momente der Unsicherheit zu überspielen, zog er ein spitzengesäumtes Taschentuch hervor und tupfte sich albern kichernd die schweißnasse Stirn. Im Spiegel an der Wand gegenüber konnte er erkennen, dass sich seine Schminke dabei löste und unfeine schweinchenrosa Haut aufblitzte. Wie peinlich, dachte er, wie peinlich und das alles nur wegen dem Chevalier aus Wien.
Saint-Germain hörte Schritte. Endlich würde sich der Unbekannte offenbaren. Bestimmt war er ein Gesandter der kaiserlichen Geheimpolizei, um sich über die Invasionspläne zu informieren.
Doch was war das? Dem Grafen blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Die Figur, die gemessenen Schrittes hinter der Stellwand hervortrat, glich ihm wie ein Ei dem anderen. Direkt ihm gegenüber stand sein bleicher Doppelgänger, der sogar das gleiche Taschentuch in der Hand hielt. Es war, als blicke er in den Spiegel oder in die schwarze, schwindelnde Tiefe eines Albtraums. Ein gefährliches Lächeln lag auf dem Mund seines lebenden Spiegelbildes. Es blickte wie ein lauernder Gargoyle von der Kathedrale von Notre-Dame de Paris auf sein Opfer.
Saint-Germain hielt dem Augenpaar nicht stand. Er rannte los zur Türe. Hinter den Vorhängen und aus den dunklen Nischen des Salons traten fünf Männer hervor, feuerrote Sterne zierten ihre weiße Brust. Der Graf kreischte wie ein Mädchen. Sein Double lachte. Das laute Lachen dröhnte auch noch in seinen Ohren, nachdem ihm die stummen Angreifer einen Sack über den Kopf gestülpt hatten.
Der Livrierte öffnete nach einem kurzen Klopfen die Türe des Salons zur Gesellschaft. Der Graf von Saint-Germain betrat mit ernster Miene und tadellos geschminkt wie immer das Fest. Er wandte sich zu Madame du Hausset und sprach fest: »Madame müssen verstehen, dass ich es nicht mit meinem Gewissen und der großen Verantwortung, die darauf lastet, vereinbaren kann, mein Geheimnis zu teilen, oder gar zu Geld zu machen. Berichte sie solches getrost ihrer Herrin und all den andren Damen bei Hofe und in Paris.«
Du Hausset war sprachlos. Sie hatte nicht mit einem so entschlossenen Saint-Germain gerechnet, er hatte sie überrumpelt und sie machte in ihrer ersten Verblüffung einen Knicks. Als sie sich wieder gefangen hatte, war der Graf schon auf dem Weg zum König und sie blickte ihm nachdenklich hinterher.
Dann drehte sie sich um und näherte sich vorsichtig der Türe, durch die Saint-Germain eingetreten war. Sie blickte mehrmals nach links und rechts, stellte fest, dass keiner der Domestiken in der Nähe war, und legte ein Ohr an das Holz der Türe. Kurz schien es ihr, sie hätte leises Stöhnen, einen dumpfen Schlag und danach ein Geräusch, wie das über das Parkett Schleifen einer großen Last, gehört. Als sie die Türe schließlich aufstieß, war der Salon leer.
Am nächsten Morgen reinigten Bedienstete die Räumlichkeiten von den Überresten einer durchfeierten Nacht. Eine Kammerzofe wollte gerade den Spiegel im Salon wischen, als sie den roten Stern bemerkte, den ein Witzbold mit Rotwein oder irgendeiner Soße auf das gute Parkett geschmiert hatte. Sie scheuerte und kratzte und ärgerte sich über die eingetrocknete rote Flüssigkeit.
»Jean-Pierre!«, kreischte sie. »Sieh dir diese Sauerei an! Nicht nur, dass uns die adligen Herrschaften hinter jede Säule und in jedes Eck pinkeln, jetzt schmieren sie uns schon die Böden voll. Zeit wird es, dass sich was ändert. Wirst sehen, Jean-Pierre, eines Tages, da brennt sie, die Bastille …«
Karlskirche, Wien/Österreich
W erner war erschüttert. Er kniete neben dem toten blonden Mädchen in der Karlskirche und ließ die Plastikplane wieder sinken, ein Gefühl der tiefen Hoffnungslosigkeit erfüllte ihn. Welcher perverse Mensch konnte sich nur so etwas ausdenken und durchführen? Warum diese junge Studentin, die nur den Lift zur Kuppel bediente, um sich ein wenig Geld nebenbei zu verdienen? Was sollten die Zeichnung auf ihrem Rücken, die Engelsflügel, und das schwarze Gesicht? Berner hob die Plane nochmals an und roch am Gesicht des Mädchens. Schuhcreme. Ihm wurde fast schlecht. Die Experten der Spurensicherung arbeiteten auf der Plattform unter der Kuppel und versuchten wahrscheinlich vergebens, irgendwelche Fingerabdrücke oder Fasern sicherzustellen. Bisher hatten sie nur die Kleidung des jungen Mädchens gefunden.
Eine Stimme, die vom Himmel zu kommen schien, riss Berner aus seinen Gedanken. »Kommen Sie mal herauf, Kommissar?« Berner blickte nach oben und sah einen
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