Ewig
Friedrichs noch gar nicht errichtet worden und offenbar hatte kein Bauwerk vorher an dieser Stelle gestanden. Sina war enttäuscht. Vielleicht war doch alles nur ein Hirngespinst.
Da die Karmeliter Kirche der unterste Punkt des Drachenvierecks war und alle anderen drei Kirchen viel weiter in der Innenstadt lagen, nahmen sie Wagners Wagen und fuhren zum Heldenplatz in der Hofburg, wo sie aller Unkenrufe Sinas zum Trotz sofort einen Parkplatz fanden.
»Lass uns mit der Schotten Kirche anfangen, dann quer durch die Stadt zur Franziskaner Kirche gehen und am Ende die Michaeler Kirche besuchen«, schlug Wagner vor. »Und dann ist mein Bedarf an kalten Kirchen für heute gedeckt.«
Sina nickte nur und sie machten sich zu Fuß auf den Weg durch die Hofburg. Keine zehn Minuten später standen sie vor dem braunen Portal der Schotten Kirche auf der Freyung. Das Tor war nicht verschlossen und Wagner zog den schweren Holzflügel auf. Sina ging voraus, dicht gefolgt von dem Reporter, und mit einem dumpfen Laut fiel hinter ihnen die Türe zu. Mit einem Mal war es stockdunkel, und sie fanden sich in einem unbeleuchteten Windfang wieder. Sina sah mit einem Schlag überhaupt nichts mehr, die abgestandene Luft nahm ihm den Atem. Es roch nach jahrhundertealtem Staub, Kerzen und feuchtem, altem Holz.
Sinas Hand verkrallte sich in Wagners Oberarm. »Los, such die Tür! Entweder links oder rechts muss eine sein. Ich komme mir vor wie in einem verdammten Sarg«, stieß der Wissenschaftler hervor.
»Na, na, Herr Kollege, nur die Ruhe und was die Wortwahl betrifft, ein wenig mehr Andacht, wenn ich bitten darf.« Wagner drückte die Seitentür auf und ätzte: »Georg, sag mir eine Neurose, die du ausgelassen hast.«
Als sie eintraten, kam ihnen ein junger Pfarrer entgegen, den Wagner ansprach und der sich sofort dazu bereit erklärte, sie durch die Kirche zu führen und das schwere Gitter zum Kirchenraum für sie zu öffnen. Im Gegensatz zur Karmeliter Kirche war diese Kirche hell und freundlich, die Barockisierung hatte viel Ocker und Weiß im Innenraum verwendet.
»Unsere Kirche ist viel älter als die Karmeliter Kirche, aus der Sie gerade kommen«, erzählte der Pfarrer. »Sie wurde für irische Mönche erbaut und ist dem heiligen Georg, dem ersten Benediktiner, geweiht.« Der junge Geistliche, der mit ihnen durch die Seitengänge spazierte, bemühte sich redlich, ihnen in kurzer Zeit einen Überblick zu geben.
»Das Gebäude selbst war im Jahre 1155 nach drei Gedenktagen ausgerichtet worden, dem 17. März für den heiligen Patrick, dem 20. März, weil es der Palmsonntag war, und dem 21. März für den heiligen Benedikt.«
Sina betrachtete die zehn gotischen Grabsteine aus rotem Adneter Marmor, demselben Stein, der für Friedrichs Sarkophag verwendet worden war.
»Wir besitzen die älteste Marianische Gnadenstatue Wiens aus dem Jahre 1250, Sie können sie in der Romanischen Kapelle bewundern«, meinte der Pfarrer stolz. »In der Gruft wurden der Kirchenstifter Heinrich II. Jasomirgott zusammen mit Frau und Tochter bestattet.«
Die drei Männer waren vor dem Hochaltar angelangt, dessen kräftige hellblaue Farben auf den Mittelbildern Wagner kitschig erschienen. Der junge Pfarrer bemerkte Wagners kritischen Blick und war jetzt nicht mehr zu bremsen. »In unserem Stift gibt es auch noch ein bedeutendes Museum, in dem der berühmte Schottenmeisteraltar aus dem 15. Jahrhundert aufgestellt ist.«
Wagner horchte auf. Er und Sina sahen sich an.
»Er zeigt das Leben Mariens und den Kreuzweg Jesu. Die Szenen sind vor dem Hintergrund mittelalterlicher Landschaften dargestellt«, dozierte der Pfarrer weiter. »Man kann eindeutig die Städte Krems und Wien erkennen und der Maler muss es mit der Geografie sehr genau genommen haben. Die Darstellung Wiens ist die älteste topografisch richtige überhaupt. Von den vierundzwanzig ursprünglichen Tafeln sind einundzwanzig noch erhalten, davon die meisten bei uns, die anderen in der Österreichischen Galerie im Belvedere.«
»Wann ist der Altar entstanden?«, fragte Georg Sina, der bis dahin stumm geblieben war, nun aber einen Verdacht bestätigt haben wollte.
Der junge Pfarrer lächelte stolz und die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Der Altar des ›Wiener Schottenmeisters‹, wie man ihn offiziell nennt, ist von 1469 bis 1480 gemalt worden, eines der Hauptwerke spätgotischer Malerei in Österreich. Es ist auch der Mittelpunkt des Museums in unserem Stift.«
…und der erste
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