Ewig
mehr.« Sina wickelte seinen Schal um den Hals und stapfte los. »Was die Franziskaner Kirche betrifft, so kann ich dir ein paar Dinge aus meiner Erinnerung erzählen«, sagte er und vergrub die Hände tiefer in den Manteltaschen, während sie über den Graben in Richtung St. Stephan gingen.
»Ich habe an der Universität Wien einmal ein Seminar gehalten über die Franziskaner und ihre Besitzungen im Wien des Mittelalters. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde ein Büßerinnen-Kloster gebaut, das den treffenden Namen ›Seelenhaus‹ trug. Es war von wohlhabenden Bürgern für Dirnen gestiftet worden, die wieder auf den rechten Weg zurückfinden wollten oder sollten.« Sina lächelte dünn. »Wie erfolgreich das Bemühen war, ist nicht überliefert. Zuerst wurde eine Kapelle gebaut, dann eine Kirche, die dem heiligen Hieronymus geweiht wurde. An ihrer Stelle steht die heutige Franziskaner Kirche und ist demselben Heiligen geweiht.«
Wagner hörte ihm aufmerksam zu und suchte nach dem entscheidenden Hinweis.
»Zu der Gnadenstatue am Altar aus dem 15. Jahrhundert gibt es eine seltsame Legende. Sie soll aus Grünberg in Böhmen stammen: Die protestantischen Landedelherren versuchten damals, die Statue der Maria zu vernichten. Erst wollte man sie verbrennen, aber das Feuer konnte ihr nichts anhaben. Dann wollten sie die Holzstatue zerhacken, aber auch das klappte nicht. Da ließen sie das Beil in der linken Schulter Marias stecken und so steht sie nun in der Franziskaner Kirche bis heute und wird als die ›Madonna mit der Axt‹ verehrt.«
Am Franziskaner Platz angekommen, sahen sie von der anderen Seite der Straße Kommissar Berner mit großen energischen Schritten auf das »Kleine Café« zueilen.
Peer van Gavint war auf der Hut. Gerade hatte ihm der Militärattaché der Botschaft mitgeteilt, dass General Li Feng vom Armeeministerium heute am späten Abend in Wien ankommen würde. Keineswegs als Kontrolle, wie er ihm eilig versichert hatte, sondern als Unterstützung und direkten Ansprechpartner der chinesischen Regierung, falls in der weiteren Folge Fragen auftauchen würden oder Entscheidungen schnell zu treffen seien. Gavint war zu gut erzogen, um das zu sagen, was er dachte.
Er verließ die Botschaft in der Metternichgasse zu Fuß, bog auf den Rennweg ein und schlenderte in Richtung Zentrum. Elegant gekleidet wie immer kontrollierte Gavint routinemäßig in den Scheiben der Schaufenster, ob ihm jemand folgte. Er arbeitete stets allein, hasste Mitwisser, misstraute Regierungsangehörigen und beschränkte den Kontakt mit seinen Auftraggebern auf das erforderliche Mindestmaß. Das war ein Teil seines Erfolgsrezepts. Er brauchte keinen Li Feng. China brauchte ihn und sein Schweizer Bankkonto brauchte China. Gavint schmunzelte. Mit dem Geld würden einige Träume in die Wirklichkeit rücken. Seine Ranch in Südafrika, ein Boot und vielleicht sogar ein eigener Hubschrauber. Aber eines vor allem: Er würde sich Zeit kaufen können, Auszeit.
»Sie sehen mich verunsichert, Kommissar«, lächelte Wagner, als die drei einen Tisch in einer Nische gefunden hatten und Berner seine unvermeidliche Zigarette anzündete. »Mein Feindbild bricht zusammen, meine Wertvorstellungen werden auf den Kopf gestellt und wenn Sie mir jetzt noch erzählen, dass Sie Ihren Notizblock nicht dabei haben, dann habe ich gar nichts mehr, woran ich glauben kann.«
Berner zog grinsend seinen Notizblock aus der Tasche und legte ihn vor sich auf den Tisch. »Freuen Sie sich nicht zu früh, Wagner. Ich werde Ihnen den Glauben nicht nehmen. Ganz im Gegenteil. Ich war immer lästig, jetzt werde ich penetrant. Aber diesmal erwischt es die richtigen Leute.« Berner bestellte eine Melange und legte die Hände auf die Tischplatte, alle zehn Finger gespreizt. »Mein Ansuchen um Pensionierung liegt in diesem Augenblick auf dem Tisch Ihres Vaters.« Berner blickte Sina und Wagner in die Augen. »Und das ist gut so, verstehen Sie mich richtig. Weil mir sonst die Hände gebunden wären und ich zusehen müsste, wie politische Interessen die Oberhand gewinnen und zwei Fälle auf den unerledigten Aktenstapeln landen, die genau da nichts verloren haben.« Der Kommissar wandte sich an Sina. »Professor, ich halte sehr große Stücke auf Sie, auch wenn Sie mit diesem zwielichtigen Reporter herumlaufen.«
Sina grinste. Berner wurde ihm immer sympathischer.
»Ich habe Ihre freiwillige Klausur in Grub immer für eine Zeitverschwendung gehalten und es bedauert,
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