Ewig
fünfhundert Jahren ein Geheimnis verschlüsselt und die Lösung würden sie nicht hier und jetzt finden, sie war besser versteckt. Dazu mussten sie Wien verlassen und ihr Weg, nachdem sie alle Hinweise in den Kirchen des Kreises gefunden hatten, würde nach Süden führen. Denn eines war sich der Reporter sicher. Jeder einzelne Hinweis war wichtig, jeder Stein in diesem Puzzle hatte seine ganz bestimmte Bedeutung. Friedrich hatte alles bedacht.
Georg Sina stand ebenfalls bewundernd vor dem Altarbild und der junge Mönch blickte den bekannten Wissenschaftler neugierig von der Seite an. Endlich trat Sina einen Schritt zurück, ganz in Gedanken versunken.
»Der Felsenberg rechts hinter Josef könnte den Wienerberg darstellen. Der Maler stand auf dem Platz der Spinnerin am Kreuz, sein Blick war nach Norden auf die Stadt gerichtet. Aber weißt du, Paul«, meinte er an Wagner gewandt, »das erinnert mich an eine andere Darstellung der Stadt – den Stammbaum der Babenberger, der im Stift Klosterneuburg gezeigt wird. Er stammt aus derselben Zeit wie dieser Altar und dort wird auf einer der zentralen runden Vignetten von Osten her auf die Stadt geblickt.«
»Sie haben vollkommen Recht«, warf der Geistliche ein. »Einige Kunsthistoriker haben schon Vergleiche zwischen den beiden Werken gezogen. In der Medaille, die Herzog Heinrich Jasomirgott zum Thema hat, ist die mittelalterliche Schotten Kirche im Hintergrund.«
»Wo ist die Jahreszahl?«, unterbrach Wagner.
»Oh, hier drüben auf der Werktagseite. Sehen Sie, da über dem Torbogen.«
»Und was schreibt der Mann dort?« Wagner wies auf ein Fenster auf dem Altarbild.
»Wo schreibt wer was?«, fragte der junge Pfarrer verwirrt.
»Na hier, links neben der Zahl«, präzisierte Wagner. »Da beugt sich ein Mann in rotem Gewand und schwarzer Mütze aus dem Fenster und malt etwas auf die Wand.«
»Das ist noch niemandem aufgefallen.« Der junge Pfarrer war verblüfft, und Wagner mühte sich vergebens, den Schriftzug zu entziffern.
Plötzlich kam Sina um die Ecke und kritzelte seinerseits mit einem Kugelschreiber hastig etwas auf ein zerknittertes Blatt Papier. Der Reporter schaute ihm neugierig über die Schulter. Der Wissenschaftler notierte Pflanzennamen und die Tafeln, auf denen er die botanischen Darstellungen ausgemacht hatte. Wagner schaute ihn fragend an.
»Da sind überall Blumen und Kräuter gemalt, naturgetreu. Im Tafeltext steht, dass es bei der Kreuztragung Christi ein Wiesenstück gibt, das in seiner Exaktheit und Machart an das kleine Rasenstück Dürers erinnert.«
»Aha!«, war alles, was Wagner dazu einfiel.
»Kochst du noch immer so gern, Paul?«, schmunzelte Sina und widmete sich wieder seinen Notizen.
Was glaubt Georg, dachte sich der Reporter, an ein Kochrezept auf dem Altar? Damit wandte er sich wieder dem jungen Priester zu und beide diskutierten angeregt die Bilder.
Sina ließ langsam seine Augen über jedes Detail der Tafeln gleiten und verglich das Gesehene mit dem Beschriebenen. Scheinbar Unbedeutendes notierte er genauso wie Offenkundiges. Wie das Detail, dass im Bild des Todes der Maria ein Apostel mit einer Nische übermalt worden war, auf Regalbrettern Gefäße und gläserne Flaschen, gefüllt mit einer gelblichen Flüssigkeit, aufgestellt waren und an einem Nagel ein kleiner lederner Beutel hing.
Sina lächelte und plötzlich waren ihm die Zusammenhänge klar. Friedrich hatte sie mit einer verblüffenden Logik zugleich auf die Babenberger und auf den richtigen Weg zum Geheimnis gebracht.
»Und weißt du, Paul, wo der Maler des Stammbaums stand, als er die Szene skizzierte? Genau dort, wo später die Karmeliter Kirche erbaut wurde, jene Kirche, die Friedrich als den östlichsten Punkt unseres Drachenvierecks einsetzte.«
Der junge Mönch hatte mitgehört und schaute die beiden erstaunt an. »Drachenviereck? Was meinen Sie?«
Sina winkte ab. »Ach nichts, nur eine Jugenderinnerung.«
Paul Wagner bedankte sich schnell bei dem jungen Priester für die Führung und zog Sina zornig in Richtung Ausgang. »Du hättest es auch so laut herausposaunen können, dass alle Museumsbesucher mitgehört hätten«, zischte er.
»Es war doch außer uns kein Mensch da«, entschuldigte sich Sina.
Der Geistliche schaute ihnen alarmiert nach, als die beiden das Museum verließen. Dann drehte er sich um und hatte es plötzlich eilig, holte seinen Mantel aus einem kleinen Raum neben der Garderobe, winkte kurz der Frau an der Kasse des Museums zu und
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