Ewig
lief auf die Straße. Er bog nach links und eilte über die Freyung stadteinwärts. Seine Soutane flatterte hinter ihm her und er sah gehetzt nach allen Seiten.
»Er sieht aus wie ein aufgescheuchter Rabe, findest du nicht?«, meinte Wagner, der Georg Sina tiefer in den Hauseingang hineinzog, als der junge Priester an den beiden vorbeilief. »Irgendetwas in deinen Ausführungen hat ihn alarmiert. Ich wette, es war das Drachenviereck.« Sina nickte und schaute dem Geistlichen hinterher, der in Richtung Am Hof und dem Gewirr der kleinen Gassen der Inneren Stadt eilte.
»Aber was kann er darüber wissen? Wir haben es doch erst gestern entdeckt … Das ist seltsam. Komm, lass uns schauen, wohin er geht«, forderte Sina seinen Freund auf und zog ihn auf die Straße.
Der Priester hatte inzwischen zu laufen begonnen und schlug kleine Haken um die Fußgänger, schlängelte sich an Paaren vorbei und drängte durch Touristengruppen. Sina und Wagner beschleunigten ebenfalls die Schritte, versuchten, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Aber am Eingang zur Fußgängerzone war der junge Geistliche plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Eine Touristengruppe schob sich langsam über den Graben und der Strom teilte sich nur zäh vor Sina und Wagner. Auf der anderen Seite angekommen blieben sie atemlos stehen und mussten sich eingestehen, dass sie der Priester abgehängt hatte. Er war wahrscheinlich durch eines der großen Kaufhäuser, die sich zwischen zwei Straßen erstreckten oder durch einen der alten Hausdurchgänge gelaufen. Wagner war enttäuscht.
»Komm, gehen wir zurück zum Auto. Es wird Zeit, alle Hinweise der vier Kirchen auf den Tisch zu legen und unsere nächsten Schritte zu planen.« Sina nickte zustimmend.
»Da! Da drüben!« Wagner hatte ihn am Arm gepackt und zerrte ihn hinter sich nach. Sina stolperte, fing sich wieder, versuchte etwas zu sehen, aber Wagner zog ihn so stark, dass er aufpassen musste, nicht hinzufallen.
»Was ist denn los, Paul?«
»Da drüben ist er wieder, gerade um die Ecke zum Petersplatz gebogen! Jetzt dürfen wir ihn nicht mehr aus den Augen verlieren.«
Wagner rannte los und Sina versuchte vergeblich, die schwarze Soutane des Paters zu entdecken. »Nicht aus den Augen verlieren …«, brummelte er, während er lief. »Dazu müsste ich ihn erst einmal sehen!«
Wagner sprintete um die Ecke auf den Bauernmarkt und sah in der Ferne den Priester laufen. Er hörte Sina hinter sich und sprang zwischen den Autos durch, ignorierte das Hupen und schlängelte sich auf der anderen Straßenseite zwischen den Passanten immer näher an den Priester heran. Sina war dicht hinter ihm und der Vorsprung des Geistlichen schrumpfte.
»Rechts oder links«, fragte sich Wagner laut beim Laufen, als das Ende des Bauernmarkts gekommen war. Der Priester schwenkte nach links in die nächste Fußgängerzone bei der Judengasse, die beiden Verfolger in einigem Abstand ihm nach. Immer weniger Fußgänger waren hier auf der Straße, die Schritte hallten auf dem alten Kopfsteinpflaster zwischen den niedrigen Häusern. Sina und Wagner ließen sich zurückfallen, den Abstand etwas größer werden. Hier gab es einige Restaurants und Bars, alle geschlossen um diese Zeit. Der Priester ging langsamer, aber zielstrebig weiter.
»Ich glaube, ich weiß, wohin er will«, meinte schließlich Paul Wagner, als er und Sina vorsichtig auf den kleinen Platz inmitten des alten Judenviertels, nahe am Donaukanal, traten und nicht weit entfernt den jungen Geistlichen beobachteten. Der Priester wandte ihnen den Rücken zu, öffnete gerade eine Tür und betrat – die Ruprechtskirche.
»Gehen wir ihm in die Kirche nach und geben zu, dass wir ihm gefolgt sind oder lassen wir es gut sein?« Wagner war unsicher.
»Vielleicht ist er nur schnell beten gegangen und wir blamieren uns komplett«, gab Sina zu bedenken.
»Ja, und vielleicht ist Berner bei der Heilsarmee«, versetzte der Reporter und schaute seinen Freund an. »Das glaubst du doch selbst nicht. Für sein Mittagsgebet hätte er in der Schotten Kirche bleiben können. Nichts da, wir gehen ihm nach.«
Entschlossen überquerten die beiden den schmalen Platz und öffneten die Tür des kleinen Gotteshauses. Der Geruch nach Kerzen, Weihrauch und Rosen erfüllte die Luft, Bruder Johannes hatte frische Blumensträuße am Altar arrangiert. Die Stille war vollkommen, selbst der Lärm der Stadt schien vor den dicken Mauern der Kirche zu kapitulieren. Wagner und Sina blickten sich um,
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