Ewig
die Krise rutschten, musste nicht viele Arbeiter entlassen werden, man hatte ja kaum noch welche. Man war immer unter sich geblieben, bescheiden und mit beiden Beinen auf dem Boden.
Kommissar Berner dachte über all das nach, als er in einer kleinen, unkrautverwachsenen Nebenstraße aus seinem Wagen stieg und sich umschaute. Es war eher ein Fahrweg, der nach hundert Meter in einen Feldweg mündete, bevor sich die beiden Spuren völlig im dichten, hochstehenden Gras verloren. Der Wind wehte aus Ungarn herüber und es roch nach Holzfeuer und nassen Feldern. Berner schloss den Wagen ab und ging entlang eines schiefen Eisenzauns auf ein Tor zu, das seit mindestens zehn Jahren nicht mehr bewegt worden war. Es hing nur mehr lose in den Angeln, rostete vor sich hin und ein kleiner Baum hätte jeden Versuch erfolgreich verhindert, es jemals wieder zu schließen.
Berner zündete sich eine Zigarette an und ging tiefer in das Grundstück hinein, das über und über mit Metallteilen, Gittern, Rohren und Stangen, Alteisen und undefinierbaren Zylindern übersät war, die noch aus der Zeit nach dem Krieg stammen mussten. Ein kleiner Weg schlängelte sich durch das Chaos, über das langsam Gras wuchs. Er endete vor einer überraschend großen Wellblechwerkstatt, in der gearbeitet wurde. Das grelle Licht der Schweißgeräte und kräftiges Hämmern drangen durch die Ritzen der Baracke.
Berner ersparte sich das Anklopfen und stemmte die Tür auf. Eine Wolke von Metallstaub und der Geruch nach brennendem Schweißdraht überwältigten ihn. Mindestens sechs oder sieben Männer in fleckigen blauen Overalls blickten kurz auf und arbeiteten dann weiter. Der Boden war schwarz und rutschig, Metallstücke und Eisenspäne, Werkzeug und ölverschmierte Maschinen bildeten ein einziges Durcheinander. An der Wand hing einer der üblichen Pin-up-Kalender. Wie Berner im Vorübergehen feststellte, stammte er aus dem Jahr 1988.
Er wandte sich nach rechts, wo ein mit Fenstern und Holzwand abgeteiltes Büro mehr Ruhe und Sauberkeit versprach. Doch das war eine Lüge, wie Berner wusste. Die Fensterscheiben starrten vor Schmutz und waren deshalb undurchsichtig, die Holztür war schwarz vor Schmiere und die jahrelangen suchenden Griffe nach der Klinke hatten einen dicken Belag hinterlassen. Der Kommissar stieß die Tür schwungvoll mit dem Fuß auf.
Der dicke Mann hinter dem überladenen Schreibtisch blickte auf und ein erkennendes Lächeln huschte über sein Gesicht, das rund und voll war wie das eines Engels. Er war völlig kahl und seine Augen huschten unruhig hin und her, während seine Hände versuchten, Papiere schnell in Schubladen verschwinden zu lassen.
»Gib dir keine Mühe, Eddy, ich hab nicht vor, deine Korrespondenz zu erledigen«, versetzte Berner trocken und ließ sich in den alten abgesessenen Drehstuhl fallen, dessen brauner Kunstlederbezug mehr Lücken hatte als das Vorstrafenregister seines Besitzers.
»Herr Kommissar … oder darf man das jetzt nicht mehr sagen?« Eddy begann sich mit seinem Bleistift hinter dem Ohr zu kratzen, während er Berner listig anschaute.
»Es ist unglaublich, wie gut dein Informationsnetzwerk noch immer funktioniert.« Berner war sichtlich erstaunt. Der Mann hinter dem Schreibtisch stand auf und zog seine Hose hoch. Er war fast so breit wie hoch und kullerte mehr als er ging.
»Du hast abgenommen, Eddy«, stichelte Berner, »bald kannst du wieder in den Ring.«
Der ehemalige Ringer winkte nur müde ab. »Die brauchen da keine Billardkugel, Kommissar. Aber Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben, oder was führt Sie sonst an diese exklusive Adresse vor den Toren der Stadt?«
Berner griff in seine Hosentasche und holte den flachen Schlüssel aus der Tasche, den er in dem kleinen Porträtbild der Kaiserin Eleonore gefunden hatte. Er legte ihn auf die einzige freie Stelle der Tischplatte und zog die Hand zurück. Eddy stand da und schaute abwechselnd Berner und den Schlüssel an.
»Komm, Eddy, spiel mir nicht das übliche Theater vor, ich habe noch weniger Zeit, seit ich in Pension bin.«
»Sie und in Pension!« Eddy lächelte. »Ich höre ganz andere Dinge …«
Berner seufzte hörbar, stand auf und nahm den Schlüssel, drehte sich um und wollte schon das Büro verlassen, als ihn eine Hand an der Schulter zurückhielt. Eddy stand da und grinste ihn an, hielt seine flache Hand auf und Berner ließ den Schlüssel hineinfallen.
»Wenn jemand etwas über diesen Schlüssel weiß, dann bist du es.«
Weitere Kostenlose Bücher