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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war schlecht gelaunt, und daran konnten auch der herbstliche finnische Wald entlang der Straße und schon gar nicht die darüber hängenden grauen Wolken etwas ändern.
    »Fahr nicht so schnell«, forderte Ralf sie auf. Er saß auf dem Beifahrersitz.
    Gehorsam nahm Noora den Fuß vom Gas. Die multinationalen kapitalistischen Konzerne setzten rücksichtslos alle Mittel ein, um ihre Macht zu steigern, weshalb sollte man sich noch damit begnügen, Pamphlete zu schreiben? Über all diese Dinge hatte sie schon nachgedacht, als sie als junge Tierschützerin Pelztiere aus ihren Käfigen befreit hatte und auf dem Gymnasium von Seinäjoki als Querdenkerin aufgefallen war. Vor ihrem ersten Anschlag auf eine Pelztierfarm war sie genauso nervös gewesen wie jetzt.
    Das hier war allerdings etwas ganz anderes als der Überfall auf das Grundstück eines Nerzzüchters. Noora hatte sich heute Morgen noch mit Hanna getroffen, die mittlerweile als Tierärztin in Kotka arbeitete. Damals hatte sie bei ihren Aktionen radikaler Tierschützer mitgemacht. Hanna hatte sich nach Ralf erkundigt, und Noora hätte ihr gern mehr von ihm erzählt, aber sie hatte es nicht gewagt, sich seinen strikten Anweisungen zu widersetzen. Bei Hanna hatte Noora auch Tatu getroffen, der nach wie vor bei Pelztieraktionen mitmachte.
    Jetzt bereitete Noora allein der Gedanke an das, was ihr bevorstand, Magenkrämpfe. Aber sie konnte sich auf Ralf verlassen. Mehr als auf Sakombi, der den zweiten Wagen holte. Niemand würde physischen Schaden erleiden. Die Kapitalisten würden Geld verlieren, aber das war nur recht und billig. Gegen Geld konnte man nur mit Geld kämpfen.
    »Du hast Angst«, sagte Ralf.
    Noora schüttelte den Kopf.
    »Angst ist normal«, sagte Ralf und schwieg. Kurz darauf fügte er hinzu: »Ich bin nicht fähig, Angst zu haben.«
    »Das hieße, du bist nicht normal«, sagte Noora mit einem vorsichtigen Lächeln.
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Noora blickte zur Seite, aber Ralf starrte mit versteinertem Gesicht vor sich hin. Ralf verfügte über alles, was Noora sich von einem Mann wünschte: Erfahrung, Intelligenz, Kraft, Idealismus. Er wirkte wie jemand von einem anderen Planeten, verglichen mit Nooras männlichen Altersgenossen, die die Welt allein mit ihrem jugendlichen Trotz und ihrer Aggression verbessern wollten. Ralf predigte nicht, er handelte: professionell, ohne zu zögern, hochgradig analytisch. In allem erkannte man seine wissenschaftliche Ausbildung.
    Privat war er genauso. Am Anfang hatte Noora das fasziniert, aber mit der Zeit hätte sie sich für ihre Beziehung ein bisschen mehr Wärme und Empathie gewünscht. Etwas von dem, was sie zwei Jahre zuvor unter der sengenden Sonne Genuas erfahren hatte, als sie sich kennen gelernt hatten. Vieles hatte sich seither verändert. Der graue finnische Wald um sie herum erinnerte Noora daran, wie weit entfernt sie waren von den warmen italienischen Tagen.
    »Hast du nicht auch manchmal Angst, dass wir erwischt werden?«, fragte sie.
    »Wir werden nicht erwischt.«
    In Ralfs ruhiger Stimme lag keine Spur von Trotz. Er konstatierte das lediglich.
    »Und wie schaffen wir das Geld aus Finnland hinaus?«
    »Mach dir darüber keine Sorgen.«
    »Du vertraust mir nicht.«
    »Das ist keine Frage des Vertrauens. Wir schützen dich. Je weniger du weißt, desto weniger kannst du aus Versehen preisgeben. Und umso weniger kann man dich zwingen, etwas zu verraten.«
    »Die finnische Polizei zwingt niemanden.«
    Ralfs Telefon klingelte. Er antwortete zustimmend auf Deutsch und reichte Noora das Telefon. »Sag auf Finnisch ins Telefon, was ich dir diktiere …«
    Noora hörte den Satz, den Ralf emotionslos aussprach.
    »Warum soll ich das sagen?«, flüsterte sie schockiert.
     
    »Hallo. Rate mal, von wo ich anrufe.« Timo war auf dem Weg zur Gepäckausgabe.
    »Vom Flughafen Helsinki-Vantaa.«
    »Wie hast du das erraten?«
    »Durch die Fragestellung«, sagte Aaro. »Und durch die Hintergrundgeräusche.«
    »Ich habe beruflich was zu erledigen, darum bin ich schon früher da.«
    »Hast du Eki angerufen?«
    »Noch nicht.« Timo bereute sofort, dass er es noch nicht getan hatte. Nichts würde ihn davon abhalten können, die versprochene Angeltour mit Aaro zu unternehmen, das hatte er sich fest vorgenommen. Er trat auf die Rolltreppe, die nach unten führte. »Ich rufe ihn heute Abend an.«
    »Wann bist du hier?«
    »Heute Nacht. Ich muss zuerst noch ein bisschen arbeiten. Geh ruhig

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