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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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bei uns ist alles okay Du brauchst Papa nicht zu stören.«
    »Das würde mir auch gar nicht einfallen«, sagte seine Mutter giftig.
    24
    Timo fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit über Brüssels kleinen Ring. Normalerweise hatte er immer ein Auge für seine Umgebung, vor allem für Geschäfte, die alte Sachen verkauften, aber jetzt fehlte ihm dafür die Zeit.
    Er kam an dem mit Glas und Granit verkleideten EU-Viertel vorbei, das ihm fremd war, obwohl es letzten Endes sein Gehalt bezahlte. Dort sah man im Straßenbild täglich die Armee der Beamten, Politiker, Eurokraten und Lobbyisten, aber in Brüssel war man Besucher aus allen Himmelsrichtungen gewohnt: an die Legionen Roms, die Inquisitoren Spaniens, an Jesuiten, an die Soldaten Napoleons und Hitlers.
    Erst weiter westlich, ab dem Stadtviertel Sablon, fühlte sich Timo zu Hause. Dort bildeten Gebäude aus dem 17. und 18. Jahrhundert das Zentrum von Brüssels österreichisch-spanischer Epoche und erinnerten daran, wie sich die Machtverhältnisse geändert hatten und immer wieder ändern würden.
    Als historischer Komplex war Timo Burgund am liebsten, diese frühere Binnenmarktzone, die sich aus verschiedenen Grafschaften und Herzogtümern zusammengesetzt hatte, die mit lockerer Hand regiert worden und trotzdem einig gewesen waren. Genau so müsste die EU seiner Meinung nach aussehen. Hätte er Mitspracherecht, würde er als Zeichen der EU das Goldene Vlies wählen, das Symbol Burgunds. In Burgund hatte es eine einheitliche Währung, gemeinsame Gesetze und ein harmonisiertes Steuerwesen gegeben. Die Macht war in Gebiete aufgeteilt gewesen, kein Volk hatte dominiert, alle waren gleichberechtigt gewesen. Das breite Spektrum unterschiedlicher Kulturen hatte in Burgund als ausgeglichenes Gemeinwesen funktioniert.
    In Timos Hosentasche klingelte das Telefon. Er zog es heraus, auf dem Display stand S OILE .
    »Hallo«, sagte Timo.
    »Was treibst du eigentlich?«, fragte eine kühle Stimme.
    »Ich fahre Auto und kann nicht reden. Reija ist okay, wir unterhalten uns später.« Timo legte auf und gab Gas. Manchmal konnte Soile anstrengend sein. Vielleicht war er auch ungerecht. Aber da Müdigkeit und Sorgen ihn gerade fest im Griff hatten, war es besser, die Gedanken an Soile zur Seite zu schieben.
    Vor ihm erhob sich der Justizpalast, den Leopold II. von seinen Kongo-Reichtümern hatte errichten lassen: ein über hundert Meter hoch aufragender, extrem protziger, eklektizistischer Koloss, der bei seiner Fertigstellung Ende des 19. Jahrhunderts das größte Gebäude der Welt gewesen war. Timo hatte viel über Leopold gelesen. Unter Bescheidenheit hatte der nicht gelitten. Nicht weit weg von Brüssel, in Koekelberg, hatte er eine Basilika bauen lassen – die viertgrößte Kirche der Christenheit.
    In der Unterstadt nördlich des Justizpalastes begann Timos Reich, das Handwerkerviertel mit seinen gewundenen Gassen und seiner farbigen Geschichte. Silber-und Goldschmiede, Küfner, Schneider und Waffenschmiede hatten hier ihre Arbeit verrichtet.
    Heutzutage florierte dort der Handel mit gebrauchten Sachen, mit Kunst und Antiquitäten. Mit zunehmender Geschwindigkeit tauchten auch Trendlokale, Galerien und Restaurants in dem Viertel auf, aber Timo ließ sich davon nicht stören. In diesen Straßen war Pieter Bruegel zu Hause gewesen, einer seiner Lieblingsmaler.
    Timo bog nach Süden in die Avenue Louise ein und fluchte über den Verkehr, der nach dem Kreisel langsamer wurde. Für ihn war die Louise nur eine Durchgangsstraße, anders als für die Damen im Pelz mit den selbsttönenden Brillen, die mit mehrfach geliftetem Gesicht durch die Boutiquen patrouillierten.
    Nach einigen hundert Metern wurde der Verkehr dünner, und Timo beschleunigte in den Tunnel hinein. Zehn Minuten später verließ er außer Atem im TERA-Hauptquartier in der Adolphe Buy den Aufzug im zweiten Stock. Schon im Gang empfing ihn eine mit Händen zu greifende Spannung. Beamte mit ernsten Gesichtern eilten vorüber, darunter auch der Chef der gesamten Einheit, Tony Wilson.
    Timos Telefon klingelte: S OILE . Sofort drückte er auf den Knopf, der Anrufe ablehnte. Zu seiner Überraschung winkte ihn Wilson zu sich. Während er auf den Chef zuging, versuchte Timo, die Gewissensbisse zu unterdrücken, die er wegen des abgelehnten Anrufs hatte. Er nahm sich vor, Soile bei der nächsten Gelegenheit anzurufen.
    »Bist du auf dem Laufenden?«, fragte Wilson und sah Timo mit durchdringendem Blick an. Der ehemalige

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