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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Haus war. Anschließend begann er, sich die Einrichtung genauer anzusehen. Sie schien nicht Ralf, sondern einer älteren Person zu gehören.
    Vor dem dunkel gewordenen Kruzifix an der Wand blieb Timo stehen. Die Blutstropfen, die aus den Händen des gekreuzigten Christus rannen, waren mit roter Farbe aufgemalt. Auch andere Gegenstände hatten einen religiösen Touch. In dem Dämmerlicht wirkte das Unheil verkündend. Er musste an den Voodoo-Papst in Theos Zimmer denken, von dem Heidi Klötz gesprochen hatte. Das kirchliche Element an beiden Orten konnte wohl kaum Zufall sein.
    Timo betrachtete ein kostbar gerahmtes Ölgemälde: Adam und Eva nebeneinander, beide nur mit einem Eichenblatt bedeckt, Eva mit dem Apfel in der Hand. Im Hintergrund sah man die Schlange.
     
    Olow stand mit dem Telefon am Ohr zwischen den Bäumen hinter dem Haus und wartete, was Sakombi sagen würde. Er hatte ihm die Situation und den Mann beschrieben. Ralf war nicht erreichbar gewesen, er saß im Flugzeug auf dem Weg nach Afrika.
    »Eliminieren«, sagte Sakombi ohne Zögern. »Hast du etwas dabei?«
    »Ein Stilett«, flüsterte Olow.
    »Lass die Leiche im Haus liegen und zünde alles an. Aber von innen.«
    Olow schluckte.
    »Verstanden?«
    »Verstanden.«
     
    Timo fuhr zusammen. Auf dem Regal lag ein Totenschädel. Er war allerdings uralt und erinnerte an einen paläontologischen Fund. Richtig, Ralf hatte ja in Kapstadt Molekularbiologie studiert.
    Timo warf einen Blick auf die Bände im Regal: eine uralte ledergebundene Bibel und andere religiöse Literatur. Thomas Mann und Hans Fallada. Interessanter waren die ne ueren Werke auf dem zweiten Regal: ›World Bank‹. ›Population Growth and Policies in Sub-Saharan Africa, UNFPA‹. ›Inventory of Population Projects in Developing Countries‹.
    An der Wand über der Kommode hing ein sonderbares, beängstigendes Poster. Im Hintergrund der klassischen Zeichnung der menschlichen Proportionen von Leonardo da Vinci war ein Kreuz mit angenagelter menschlicher Gestalt hinzugefügt worden. Das Kreuz selbst ragte aus einem Globus aus Müll heraus. Man brauchte kein besonderes Verständnis für Symbolik, um die Botschaft zu verstehen: Der Mensch zerstörte seinen Planeten und schließlich sich selbst.
    Timo zog die oberste Schublade der Kommode auf. Dort lagen kleine Videokassetten mit Klebestreifen, auf denen Jahreszahlen und unverständliche Aufschriften zu lesen waren. Timo schaltete den Fernseher ein, legte eine Kassette in den Adapter und schob das Ganze in den Rekorder.
    Auf dem Bildschirm erschien in Nahaufnahme und in bester Qualität das tränenüberströmte Gesicht eines afrikanischen Kindes. Dann wurde der Bildausschnitt größer. Das Kind kroch neben seine Mutter, versuchte, sie vorsichtig zu wecken, doch die Mutter war tot. Die Kamera schwenkte herum. Der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Jeans und mit Mundschutz flößte einem Jugendlichen Flüssigkeit aus einer Plastikflasche ein. Ein höchstens vier Jahre alter Junge in einem bis zu den knochigen Knien reichenden lila Strickhemdchen schleppte sich zu dem Helfer. Er konnte kaum das Bündel auf seinem Rücken tragen. Aus diesem Stoffbündel holte der Helfer einen wenige Monate alten Säugling heraus. Menschen wurden auf Bahren oder auf dem Rücken durchs Bild getragen, viele wurden auf Karren transportiert.
    Der Kameramann kletterte auf die Ladefläche eines LKW. Rund um das Fahrzeug standen, saßen und lagen Menschen, einer neben dem anderen, dicht an dicht, Dutzende, Hunderte, Tausende, Zehntausende. Timo erstarrte vor dem unglaublichen Anblick. Das Gelände war abschüssig, und das Menschenmeer hörte nicht auf, es reichte bis zum Horizont. Nirgendwo war ein Fleckchen Erde zu sehen.
    Da klingelte Timos Telefon.
    »Bist du noch in Göttingen?«, fragte Heidi Klötz mit gespannter Stimme.
    Auf dem Bildschirm schaufelten Französisch sprechende Soldaten weißes Pulver auf Leichen, die in Strohmatten und Decken gewickelt waren.
    »Ja.« Timo wollte die Sache nicht kompliziert machen, indem er Einzelheiten seines Aufenthaltsortes verriet.
    »Schau dich sorgfältig um. Ralf Denk ist auf den Bildern der Überwachungskameras im Vatikan identifiziert worden.«
    Timos Griff um das Telefon wurde fester. Der Mann, der ihn und Aaro auf dem Schiff angegriffen hatte, hatte Papst Clemens XV. ein unbekanntes Virus eingeimpft. Der Gedanke war entsetzlich.
    Timo starrte auf den Bildschirm, wo sich die Kamera auf das Gesicht eines Kindes

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