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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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richtete, das aus einem kleinen Bündel herausschaute. Die gestochen scharfe Nahaufnahme zeigte, wie jemand weißes Pulver in das Auge des Kindes rieseln ließ.
    »Und die Frau?«
    »Wir haben kein aktuelles Bild von der Finnin, mit dem wir sie vergleichen könnten.«
    »Ich komme bald.«
    Timo schob das Telefon in die Tasche. Auf dem Bildschirm gab der Helfer einer schwangeren Frau Flüssigkeit mit einem Löffel. Weiter hinten unterhielt sich ein Mann mit seinem Kollegen, der Timo bekannt vorkam. Er beugte sich nach vorn. Der Mann war Ralf Denk, unzweifelhaft.
    Die Worte waren ebenfalls deutlich zu hören. Sie unterhielten sich über den Aufbau eines Zeltes. Ralf gestikulierte und unterbrach den anderen immer wieder, weil er mit seinen Gedanken schneller war. Er schien nicht genügend Geduld für weniger intelligente Menschen aufzubringen.
    Mit einer raschen Geste schaltete Timo den Rekorder aus und ging dazu über, sich den Inhalt der zweiten Schublade anzusehen, in der Stapel mit Fotos lagen. Er nahm einen heraus und entfernte das Gummiband, das die Bilder zusammenhielt.
     
    Olow sah durch den Spalt der Küchentür auf den Mann, der Fotos betrachtete. Er überlegte sich fieberhaft eine Taktik, mit der er am sichersten Erfolg hätte.
    Er hielt das Stilett umklammert. Der Mann war groß und breitschultrig, aber er, Olow, hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite.
    Und er hatte das Messer.
    Mit energischen, zielstrebigen Gebärden blätterte der Mann die Bilder durch. Olow wartete auf den passenden Moment.
     
    Timo betrachtete ein Bild, auf dem der junge Ralf und ein anderer weißer Junge – offenbar Theo – auf einer roten Sandstraße standen, umringt von schwarzen Kindern mit fröhlichen Augen. Sie alle lachten aus vollem Hals, außer Theo, der vollkommen ernst blickte. Im Hintergrund tranken bucklige Kühe braunes Wasser.
    Auf einer anderen Aufnahme standen zwei katholische Kirchenmänner vor einem primitiven Gebäude. Der eine hatte etwas Bekanntes an sich, aber Timo kam nicht darauf, was es war. Auf dem nächsten Bild nahm Ralf als ungefähr 20-Jähriger einer schwarzen Frau Blut ab, auf seinem T-Shirt stand »University of Cape Town«. Auf dem folgenden Bild war Ralf hinter Mikroskop, Computer und anderen Geräten kaum zu erkennen.
    Neben den Bildern lag ein großer brauner Umschlag mit Zeitungsausschnitten. Timo nahm sie heraus und erschrak. Von einem Bild aus der Zeitschrift ›Time‹ blickte ihn das Gesicht von Papst Clemens XV. an.
    Erneut nahm er den Fotostapel in die Hand und suchte die Aufnahme mit den beiden Kirchenmännern heraus: Er hatte sich vorhin nicht getäuscht. Einer der beiden Männer war der Papst, nur zwanzig bis dreißig Jahre jünger. Timo hielt sich das Bild dichter vor die Augen. Oder irrte er sich? Er überflog den Artikel, in dem es um den zunehmenden Einfluss der katholischen Kirche in Afrika ging.
    Plötzlich registrierte Timo eine Bewegung hinter sich. Er fuhr herum und sah nur noch, wie etwas Blitzendes auf ihn zuschnellte. Er griff nach der Hand mit dem Messer, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Die Hand mit dem Messer näherte sich ihm, obwohl er mit aller Kraft Widerstand leistete. Er stöhnte leise auf. Der Killer setzte sich rittlings auf ihn und versuchte, die Klinge in Richtung Hals zu drücken.
    Timos Muskeln brannten. Das Messer war noch zehn Zentimeter von seinem Hals entfernt und kam Stück für Stück näher. Mit aller Macht versuchte er, die Hand des Angreifers wegzudrücken. Sein Arm zitterte vor Anstrengung. Für einen Augenblick dachte er an die unzähligen Male, die er mit allen möglichen Ausreden nicht in den Kraftraum gegangen war. Mehr als je zuvor bereute er jetzt seinen Mangel an Selbstdisziplin.
    Dann spuckte er dem anderen ins Gesicht und wusste sofort, dass das ein Fehler war: In seiner Wut steigerte sich die Kraft des Gegners nur noch.
    »Man weiß, dass ich hier bin …«, presste Timo mit erstickter Stimme hervor.
    Das Messer war jetzt zwei Zentimeter von seiner Kehle entfernt. Er konnte seinen Muskeln keine weitere Kraft mehr abringen. Er wusste, dass er keine Chance hatte. Er ahnte, dass er sterben würde.
    In seiner Verzweiflung setzte er seinen einzigen verbliebenen Trumpf ein: seine Körpermasse. Er machte eine heftige Bewegung nach rechts, in dem Versuch, den Killer von sich zu wälzen. Das Stilett sauste nur wenige Millimeter an seinem Hals vorbei. Dann trat er dem Mann das Knie in den Leib und rollte sich fort. Für

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