Ewiges Blut - ein Vampirroman (German Edition)
ist gelogen – ich will nur nicht darüber nachdenken.
Und so stand ich nachdenklich auf der Brücke, lehnte mich an das rostige Geländer und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Wieder kam eine kleine Fähre angeschippert. Ein kleiner brummender Motor mit einer Vielzahl winziger Lichter darauf – gespannt an der Reling und quer über Bord. Ich fragte mich, wie diese Menschen bei dem ganzen Licht auf dem Schiff überhaupt noch etwas von Paris sehen konnten.
Da bemerkte ich, daß mich jemand beobachtete. Ich drehte mich langsam um und sah ihn auf der anderen Seite, mit dem Rücken an eine Laterne gelehnt, stehen. Ein interessanter junger Mann, mit hellbraunem Haar und grünen leuchtenden Augen. Er war ein Stück größer als ich, machte jedoch einen recht zarten Eindruck.
Komm zu mir.
Er fixierte mich einen Augenblick, aber als ich einen Schritt auf ihn zu machte, drehte er sich auf dem Absatz um und rannte und rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Bis er schließlich in den Straßen von Paris verschwunden war.
Ich war verblüfft. Er hatte meinem Rufen standgehalten, und er wußte, was ich war. Woher?
Ich versuchte, ihn durch Paris zu verfolgen, aber er hatte sich abgeschottet. Ließ keinen Gedanken nach außen dringen. Interessant.
Ohne große Eile machte ich mich auf die Suche nach einem Opfer für diese Nacht. Unglaublich viele Menschen waren auf den Straßen. Schlenderten an den Schaufenstern vorbei, saßen in den kleinen Bistros. Es war eine wundervolle Nacht zum Jagen. Ich lauschte, wartete auf eine arme, verlorene Seele, die mir vielleicht ihre kläglichen Signale zusandte.
Ich muß gestehen, es macht mir nichts aus, unschuldige Menschen zu töten. Sie müßten einem leid tun, ich gebe es zu, und vielleicht suche ich manchmal nach einem wirklich gefährlichen Gegner, einem Mörder zum Beispiel. Dann habe ich einen Moment lang den Eindruck, etwas Sinnvolles getan zu haben; vielleicht beruhigt es mein Gewissen – wenn ich denn eines habe. Aber im Großen und Ganzen kümmert es mich wenig.
Es dauerte auch in dieser Nacht nicht lange, bis ich ein geeignetes Opfer gefunden hatte, das heißt, eigentlich fand es mich!
Ich schlenderte sorglos durch die dunklen, engen Gassen, in denen die weniger wohlhabenden Bürger Paris ihr Dasein fristeten, da baute sich plötzlich ein riesiger Kerl vor mir auf. Konnte höchstens 25 Jahre alt sein, aber ein Bär von einem Mann.
» Her mit deinem Geld « , raunzte er auf Französisch.
Aber ich schüttelte nur mitleidig den Kopf. Offensichtlich war der Gute nicht bester Stimmung und versuchte sofort, mich mit einem boshaften Faustschlag außer Gefecht zu setzen. Geschickt wich ich aus, und es kam zu einem kurzen Gerangel. Als ich mein Gesicht seinem Hals näherte, wurden seine Augen plötzlich riesengroß.
Er versuchte, mich wegzustoßen, aber ich schlug meine Zähne in die weiche Haut seines Halses und spürte, wie mir sein heißes Blut entgegensprudelte. Der Geruch von Blut, Schweiß und Angst jagte mir köstliche Schauder über den Rücken. Hemmungslos labte ich mich an seinem Körper, bis das Herz seinen letzten Schlag getan hatte.
Dann schlug ich ihn mir fröhlich pfeifend auf den Nacken, um ein schönes Plätzchen zu suchen, wo er seinen ewigen Frieden finden konnte. Nach diesem Genuß war der schöne Fremde, der mich auf der Brücke beobachtet hatte, aus meinem Kopf verschwunden.
Etwa ein Jahr später sah ich ihn wieder. Ich war wieder in meinem geliebten London. Es war traurig und noch immer anstrengend für mich, aber ich hatte London vermißt. Wollte ihm wenigstens einen kurzen Besuch abstatten. Wie immer war das Wetter lausig um diese Zeit. Ein eisiger Feuchtigkeitsfilm hatte mein Haar und mein Gesicht überzogen, als ich über die St. Martin’s Lane Richtung Trafalgar Square schlenderte. Ich wollte wieder ins Theater, mich unter die Sterblichen mischen, einer von ihnen werden.
Wenn ich in London bin, gehe ich immer ins Theater – schon so lange ich denken kann. Dabei ist es gleichgültig, welches Stück. Ich liebe das Theater der Verstellung wegen; das erinnert mich an meine eigene Existenz. Denn weil ich unter den Sterblichen lebe, bin ich ständig verpflichtet, mich zu verstellen. Würde ich ein abgeschiedenes Friedhofsdasein fristen – wie einige von uns – wäre das sicher anders. Aber wie öd’ und trist wäre das – ich möchte es mir nicht einmal vorstellen.
Ich hatte schon getrunken an diesem Abend, daher war meine Haut gerötet
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