Ewigkeit
fest. »Früher oder später wird man jeden Lastwagen in Paris durchsuchen, und zwar Zentimeter für Zentimeter.«
»Ich hoffe, dass solche Listen bis dahin nicht mehr nötig sind.« Custine nahm eine Tasse vom Tablett, das Madame Parmentiere soeben ins Zimmer gebracht hatte. In seinen riesigen Händen wirkte das zerbrechliche Porzellan wie winziges Puppengeschirr. »Jedenfalls bin ich jetzt hier, obwohl ich nicht beabsichtige, länger als ein paar Stunden zu verweilen.«
»Hast du schon darüber nachgedacht, wie du das Gebäude wieder verlassen willst?«, fragte Floyd.
»Das werde ich tun, wenn es so weit ist«, sagte Custine und nippte am recht schwachen Tee. »Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass man eher mit meinem Eintreffen rechnet, als dass ich verschwinde. Diese Unaufmerksamkeit könnte ich ausnutzen.«
»Es gefällt mir, wenn jemand vorausdenkt.«
Custine richtete einen kleinen Finger auf Auger. »Ich habe nur die Hälfte Ihrer Geschichte mitbekommen. Sie behaupten also, Susans Schwester oder Halbschwester oder was auch immer zu sein.«
»Es ist überflüssig, von ›behaupten‹ zu reden«, sagte Auger. »Ich bin das, was ich sage. Wenn es Ihnen und Monsieur Floyd nicht gefällt, ist das einzig und allein Ihr Problem.«
»Das ist übrigens ein wunderbares Beispiel für Mademoiselle Augers Vorstellung von Dankbarkeit«, sagte Floyd. »Sie hat es mir mehrfach demonstriert, als ich sie in der Métro-Station vor Schwierigkeiten bewahrt habe, und etwas später erneut, als wir in der Nähe Ihres Hotels waren.«
Custine musterte Auger. »Was ist beim Hotel passiert?«
»Auger sah etwas, das ihr nicht gefiel. Und nun weigert sie sich, darüber zu sprechen.«
Auger nahm einen Schluck von ihrem Tee. Die gesamte Szene – die vier Personen, ganz zu schweigen von ihrer Gastgeberin, die ausgesprochen vornehme Umgebung – wirkte äußerst unangemessen. Noch vor weniger als einer Stunde hatte sie sich um die gezielte Kontraktion eines Wurmlochs gekümmert, nachdem sie ein Schiff zum realen Mars in einem anderen Teil der Galaxis zurückgeschickt hatte. Nun balancierte sie eine Porzellantasse auf dem Knie, während sie züchtig auf einem üppigen Polstersessel saß, in einem Zimmer, in dem schon der bloße Gedanke an Gewalt völlig unpassend erschien.
»Ich bin in Panik geraten«, sagte sie. »Das ist alles.«
»Erst, als Sie dieses seltsame Kind sahen«, sagte Floyd.
Custine stieß ein leises Knurren aus, bevor er sprach. »Was für ein Kind?«
»Ein unheimlich aussehender kleiner Junge«, sagte Floyd. »Wie aus einem Gemälde von Bosch. Klingelt da was bei dir, André?«
»Komischerweise …«
»Unheimliche Kinder tauchen bei diesem Fall an allen Ecken und Enden auf«, erklärte Floyd. »Hier ein Mädchen … dort ein Junge … vielleicht sogar verschiedene. Wir haben uns bemüht, sie nicht weiter zu beachten, doch Mademoiselle Auger fuhr ein gewaltiger Schrecken in die Glieder, als sie den Jungen sah. Sie ließ sich nicht einmal die Zeit, ihn genauer in Augenschein zu nehmen.«
»Und das bedeutet?«, fragte Custine.
»Das bedeutet, dass sie nach einem Kind Ausschau gehalten hat. Beziehungsweise nach jemandem, der so aussieht.« Floyd sah Auger mit entschlossener Miene an.
»Ich habe es Ihnen doch erklärt«, sagte sie. »Ich bin in Panik …«
»Wer sind diese Kinder?«, wollte Floyd wissen. »Was haben sie mit den Morden zu tun? Für wen arbeiten sie. Oder genauer gefragt: Für wen arbeiten Sie?«
»Entschuldigen Sie bitte.« Auger stellte ihre Tasse samt Untertasse auf den Tisch und stand vom Sessel auf. »Das ist ja alles sehr nett, aber …« Sie tastete nach der Pistole und zog sie aus dem Rockbund hervor. Alle anderen schnappten gleichzeitig nach Luft, als ihre Hand mit der Waffe zum Vorschein kam. »Nur um es klarzustellen«, sagte sie, während sie die Waffe entsicherte. »Ich weiß, wie man hiermit umgeht. Ich habe damit heute sogar schon getötet.«
Floyd klang ruhiger, als er äußerlich wirkte. »Also können wir die erfundenen Geschichten endlich vergessen? Nette Mädchen tragen keine Waffen. Und schon gar keine halbautomatischen Pistolen.«
»Damit kann ich leben, denn ich bin wirklich kein besonders nettes Mädchen.« Auger richtete die Waffe auf Floyd. »Ich möchte Ihnen damit nicht wehtun.«
»Das ist gut zu wissen.«
»Aber Sie sollten sich klar machen, dass ich es tun werde, wenn es sein muss.«
»Allem Anschein nach meint sie es ernst«, sagte Custine. Das tiefe
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