Ewigkeit
das Shuttle erzitterte, als sich das erste Geschoss löste und auf einer dolchförmigen Flamme davonschoss wie ein Splitter aus der Sonne. Sechs Stunden waren vergangen, seit sie Tunguskas Schiff verlassen hatten, aber es fühlte sich eher an wie zwanzig. Sie hatten nichts tun können außer zu warten, dass sich das Shuttle für den Abschuss positionierte, nichts außer sich Sorgen zu machen, dass Niagara in letzter Minute irgendein Ass aus dem Ärmel holen würde, mit dem er Tunguskas sorgfältig ausgearbeitete Strategie zunichte machte. Aber die Jagd entfaltete sich peinlich genau gemäß der Angriffssimulationen, bis zum Moment unmittelbar vor dem Abschuss. Niagara hatte nichts mehr aufzubieten, keine Alternative zur Fortsetzung des Wettlaufs zur E2-Atmosphäre und zur Hoffnung, dass er als Erster eintraf. Ihm musste klar sein, dass die Sache für ihn zu einer Selbstmordmission geworden war. Selbst wenn es ihm gelang, die Silberregensporen auf E2 abzuwerfen, würde er niemals lange genug überleben, um ihre mörderische Wirkung mit eigenen Augen beobachten zu können.
Niagaras Schiff war nun in Reichweite der improvisierten Raketen. Er befand sich auf einem erzwungenen Parabelkurs, der ihn bereits bis auf tausend Kilometer an die Oberfläche von E2 herangebracht hatte, während das Shuttle der Twentieth sich um weniger als die Hälfte dieser Strecke hinter ihm befand.
Sie beobachteten, wie die Triebwerksspur der Rakete auf die wolkengesprenkelte Hemisphäre des pazifischen Ozeans zuschoss. Keins der Bordinstrumente war dafür ausgestattet, den Zustand der Rakete anzuzeigen, aber Cassandras Maschinen übertrugen einen ständigen Kommentar direkt in Augers Kopf, ein ununterbrochenes Telemetrie-Geplapper, das sie ab und zu gequält zusammenzucken ließ, wenn die Masse der Zahlen ihre Verarbeitungskapazität überschritt.
Floyd sah sie an und wartete, dass sie ihn auf den neuesten Stand brachte.
»Annäherung«, sagte sie. »Sieht nach wie vor gut aus.«
Unter ihnen konnte Floyd vor dem Hintergrund des Ozeans gerade eben das glitzernde Schiff ausmachen, das sie verfolgten. Es war immer noch fünfhundert Kilometer entfernt, aber von der Rakete abgesehen war es das einzige Objekt, das sich über E2 bewegte. In den ständigen Ausweichmanövern spuckte es helle, zuckende Flammen und versuchte weiterhin, allen Angriffen zu entgehen.
»Vierhundert Kilometer«, verkündete Auger. »Sieht immer noch gut aus. Tunguska hat die Rakete zwar unter Zeitdruck zusammengebaut, aber er hat gute Arbeit geleistet.«
»Ich bin froh, dass er auf unserer Seite steht.«
»Ich auch. Floyd, es mag vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt sein …«
»Wann ist schon der richtige Zeitpunkt?«
»Was auch immer gleich geschieht, ich bereue es nicht, dass wir uns begegnet sind. Ich bereue unser gemeinsames Abenteuer nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Nicht in einer Million Jahren.« Dann runzelte sie die Stirn, als die Maschinen ein weiteres Nachrichtenpaket direkt in ihren Kopf übermittelten. »Zweihundert Kilometer und weitere Annäherung. Niagara weiß jetzt, dass er eine Rakete im Schlepptau hat.«
Floyd beobachtete, wie der Funke von Niagaras Antriebsflamme noch wildere Haken schlug und von einer Seite zur anderen zuckte wie eine Feder im Wind. Er fragte sich, was für Auswirkungen dieses Geschlinger auf diejenigen hatte, die vielleicht noch an Bord des Schiffes waren. Vielleicht waren Niagara und seine Leute bereits tot, von den Fliehkräften zerquetscht. Vielleicht hatten sie sich geopfert, damit ihre Fracht eine Chance hatte, es nach E2 zu schaffen.
Oder vielleicht lebte er noch und litt entsetzliche Schmerzen.
Floyd wusste genau, welche dieser beiden Möglichkeiten er bevorzugte.
»Etwas verändert sich«, sagte Auger. »Die Albedo von Niagaras Schiff …«
Floyd sah es ebenfalls. Der bewegte Funke verwandelte sich für einen kurzen Moment in einen verwaschenen, silbernen Lichtfleck.
Es sah aus, als wäre Niagaras Schiff explodiert. Floyd wünschte sich, dass dieser Fall eingetreten war, dass die Rakete auf irgendeine Weise den Raum schneller durchquert hatte, als sie es hätte tun sollen. Aber die Triebwerksflamme brannte weiter, scharf und klar wie eine Dolchklinge.
»Was ist gerade geschehen? Haben wir …?«
»Nein, haben wir nicht. Er hat nur einen Teil seiner Hülle wie eine alte Haut abgeworfen. Das kann nur eins bedeuten, Floyd. Er ist bereit, die Spore freizusetzen.«
Das Schiff erzitterte. Die zweite und letzte
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