Ewigkeit
ihre Wohnung und ein paar Wochen Lebenszeit.« Die Innenseite ihres Autofensters beschlug sich langsam. Floyd beobachtete, wie Greta einen Fingernagel über die Scheibe zog und eine dünne Linie hinterließ. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch lebt. Das letzte Mal habe ich vor einer Woche von ihr gehört. Sie haben ihr das Telefon abgestellt, als sie die Rechnung nicht mehr bezahlen konnte.«
»Hoffentlich bist du noch rechtzeitig gekommen«, sagte Floyd. »Hätte ich das gewusst, hätte ich versucht, dir ein Flugticket zu schicken.«
Sie bedachte ihn mit einem hoffnungslosen Blick. »Du hättest es versucht, Floyd. Mehr nicht.«
»Was ist mit dem Rest der Band? Hätten die nicht genügend Geld zusammenkratzen können, um dich nach Paris zu bringen?«
Das Auto kroch drei weitere Fahrzeuglängen vorwärts, bevor sie antwortete. »Es gibt keinen Rest der Band, Floyd. Ich habe sie verlassen.«
Floyd bemühte sich redlich, jede Spur von Triumph in seinem Tonfall, jede Spur von »Hab ich’s doch gleich gesagt« zu unterdrücken. »Das tut mir Leid. Warum hat es nicht geklappt? Mir kamen sie recht anständig vor. Drogenabhängige, aber nicht schlimmer als andere Jazzmusiker auch.«
»Das ist nicht gerade eine Empfehlung.«
»Du weißt schon, was ich meine.«
»Es war alles in Ordnung mit ihnen. Sie haben mich gut behandelt und die Tour lief gar nicht mal schlecht. In Nizza sind wir gut angekommen, und in Cannes hatten wir ein paar vielversprechende Engagements in Aussicht.«
»Warum hast du sie dann verlassen?«
»Weil es zu nichts geführt hat. Eines Abends hat mich die Erkenntnis wie der Schlag getroffen: Sie werden es nicht schaffen. Ich hätte es auch nicht geschafft, wenn ich bei ihnen geblieben wäre.«
»Hast du das Gleiche empfunden, als du mich und Custine verlassen hast?«
»Ja«, antwortete sie, ohne eine Sekunde zu zögern.
Floyd fuhr am liegen gebliebenen Laster vorbei. Er berührte die Hutkrempe mit einem Finger, als die Wachmänner ihre Waffenläufe in die ungefähre Richtung des Mathis bewegten. »Wenigstens bist du ehrlich.«
»Ich habe festgestellt, dass es vieles einfacher macht«, erwiderte Greta.
Sie hielten die nötigen Papiere bereit. Floyd beobachtete, wie der Wachmann am Kontrollpunkt schnaubend seine Papiere durchsah und sie mit dem Ausdruck schmollenden Missfallens zurückreichte, als hätte Floyd sich eines kleinen Fehlers schuldig gemacht, käme aber mit einer Verwarnung davon. So verhielten sie sich immer, ganz gleich, wie einwandfrei die Papiere waren. Floyd nahm an, dass sie nur auf diese Weise ihren Arbeitstag überstanden.
»Hier«, sagte Greta und reichte ihre Papiere über Floyd hinweg. Der Wachmann nahm sie entgegen und begutachtete sie im Schein seiner Taschenlampe. Er machte bereits Anstalten, sie zurückzugeben, als er zögerte und noch einmal genauer hinschaute. Er leckte einen Finger an und blätterte Gretas Reisepass durch. Gelegentlich hielt er inne, als würde er eine Sammlung seltener Briefmarken oder Schmetterlinge betrachten.
»Sie reisen ziemlich viel für ein deutsches Mädchen«, bemerkte er in schwerfälligem Französisch.
»Dafür hat man schließlich einen Reisepass«, erwiderte Greta mit tadelloser Pariser Aussprache.
Floyd spürte, wie ihm Eiswasser durch die Adern rann. Er legte eine Hand auf Gretas Knie und drückte sanft, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Und eine große Klappe dazu«, sagte der Wachmann.
»Die ist sehr nützlich in meinem Beruf. Ich bin Sängerin.«
»In diesem Fall sollten Sie Manieren lernen.« Der Wachmann reichte die Papiere zurück, wobei er sie bewusst Floyd und nicht Greta gab. »Der Reisepass läuft nächstes Jahr aus. Im Rahmen der neuen Bestimmungen wird es für manche Leute schwer sein, eine Verlängerung zu erhalten. Insbesondere für deutsche Mädchen mit großer Klappe. Vielleicht sollten Sie Ihre Einstellung noch einmal überdenken.«
»Ich glaube kaum, dass ich Schwierigkeiten haben werde«, erwiderte Greta.
»Wir werden sehen.« Der Wachmann nickte seinem Kollegen zu und schlug mit der flachen Hand an den Rahmen der Autotür. »Weiterfahren. Und bringen Sie Ihrer Freundin Manieren bei.«
Floyds Atem normalisierte sich erst wieder, als sie die Seine hinter sich hatten und der Fluss zwischen ihnen und dem Kontrollpunkt lag. »Das war … sehr interessant«, bemerkte er.
»Blödmänner.«
»Blödmänner, mit denen wir leben müssen«, erwiderte Floyd scharf. Nervös würgte er den
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