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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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spähte durch den Spalt und sah Greta mit übergeschlagenen Beinen und der Zeitung auf dem Schoß am Bett sitzen. Dahinter konnte er ansatzweise die Gestalt ihrer Tante im Bett ausmachen. Sie war so zerbrechlich, so leblos, dass es auf den ersten Blick fast aussah, als wäre das Bett einfach nur ungemacht und die Falten im Bettzeug würden zufällig eine menschliche Gestalt andeuten. Marguerites Kopf war von der Tür aus nicht zu sehen -Gretas Rücken verdeckte ihn. Aber Floyd konnte einen Arm ausmachen, der wie ein dünner, vertrockneter Ast aus dem Ärmel ihres Nachthemds stach. Greta hielt die Hand ihrer Tante, während sie aus der Zeitung vorlas, und strich unendlich liebevoll über die Finger der alten Frau. Bei dem Anblick spürte Floyd einen Kloß in der Kehle, und zum zweiten Mal an diesem Abend schämte er sich.
    Er zog sich über den Flur zurück, wobei er die knarrende Diele ausließ, und kehrte in Gretas Zimmer zurück. Das konnte nicht Marguerite sein, nicht die lebhafte Frau, die er vor nur wenigen Jahren gekannt hatte. So wenig Zeit konnte unmöglich so viel Schaden anrichten.
    Sie war misstrauisch gewesen, als er die ersten Male mit ihrer Nichte ausgegangen war, und sogar noch misstrauischer, als klar wurde, dass er sie in seiner Band haben wollte. Aber nach und nach hatten sie einen Zustand widerwilligen Einverständnisses erreicht, und die Kälte war einer ungewöhnlichen Freundschaft gewichen. Wenn Greta schon zu Bett gegangen war, war Floyd oft noch aufgeblieben und hatte mit Marguerite Dame gespielt oder über die alten Filme aus den Zwanzigern und Dreißigern geredet, die sie beide so sehr liebten. In den letzten Jahren hatten sie sich aus den Augen verloren, vor allem, nachdem Greta sich eine eigene Wohnung am anderen Ende der Stadt genommen hatte, und jetzt empfand er eine Welle der Trauer, die ihn durchströmte wie eine plötzliche chemische Veränderung des Blutes in seinem Körper.
    Auf der Suche nach Ablenkung öffnete er die Blechdose und nahm die Postkarte heraus. Erneut fiel ihm auf, wie bestimmt die Worte ›Silber‹ und ›Regen‹ unterstrichen waren. Wenn ›Silberregen‹ wirklich eine Botschaft war – und es gab keinen stichhaltigen Hinweis, dass es sich tatsächlich so verhielt –, welche Bedeutung hatten diese Worte dann für diesen geheimnisvollen Caliskan, an den die Postkarte adressiert war?
    Er legte die Postkarte beiseite, als Greta das Gästezimmer betrat.
    »Ich sagte doch, dass du nicht warten musst.«
    »Es regnet noch«, erwiderte Floyd. »Auf jeden Fall habe ich mir dieses Zeug hier noch einmal angesehen.« Er musterte Gretas Gesicht und stellte fest, dass ihre Augen feucht von Tränen und Müdigkeit waren. »Wie geht es ihr?«, fragte er.
    »Sie lebt noch. Das ist schon mal etwas.«
    Floyd lächelte höflich, obwohl er sich insgeheim fragte, ob es nicht gnädiger gewesen wäre, wenn sie während Gretas Abwesenheit gestorben wäre. »Ich habe Tee gekocht«, sagte er. »Der Kessel ist noch warm.«
    Greta setzte sich neben ihm aufs Bett. »Macht es dir was aus, wenn ich stattdessen rauche?«
    Floyd legte die Postkarte in die Dose zurück. »Nur zu.«
    Greta zündete sich eine Zigarette an und rauchte mindestens eine Minute lang schweigend, bevor sie schließlich wieder sprach. »Die Ärzte nennen es eine Atemblockade«, sagte sie und zog erneut an ihrer Zigarette. »Damit meinen sie Lungenkrebs, obwohl sie nicht offen damit herausrücken. Sie sagen, es gäbe nichts, was man für sie tun kann. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.« Sie lachte tonlos. »Sie sagen, es liegt an den vielen Zigaretten, die sie geraucht hat. Sie hat mir gesagt, dass ich aufhören soll. Ich habe ihr erzählt, dass ich das schon getan hätte, wegen meiner Singstimme.«
    »Ich schätze mal, ein oder zwei Notlügen darfst du dir erlauben.«
    »Vielleicht waren es auch gar nicht die Zigaretten. Vor zwanzig Jahren hat man sie in der Rüstungsproduktion arbeiten lassen. Viele Frauen in ihrem Alter sind heute krank, wegen der Asbeststoffe, mit denen sie arbeiten mussten.«
    »Kann ich mir gut vorstellen.«
    »Gestern hat Sophie mit dem Arzt gesprochen. Jetzt heißt es, dass es noch eine Woche dauern wird, vielleicht auch zehn Tage.«
    Floyd nahm ihre Hand und drückte sie. »Tut mir Leid. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für dich sein muss. Wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann …«
    »Niemand kann irgendetwas tun«, erwiderte Greta verbittert. »Das ist es ja.« Sie nahm einen

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