Ewigkeit
gerade angesehen haben, wurde erst vor wenigen Wochen aus Paris geborgen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte«, sagte Auger im Versuch, ihn nicht unverblümt der Lüge zu bezichtigen. »Nichts, was größer ist als ein Stecknadelkopf, verlässt Paris, ohne dass ich davon erfahre. Von einem so bedeutenden Fund hätte ich mit absoluter Sicherheit gehört. Genau genommen wäre ich wahrscheinlich diejenige gewesen, die ihn gemacht hätte.«
»Dann muss dieser Fund an Ihnen vorbeigegangen sein. Soll ich Ihnen noch etwas ausgesprochen Interessantes erzählen?«
»Ach, warum nicht?«
»Es handelt sich um das Original, nicht um eine Kopie. Das hier ist das echte Artefakt, wie es entdeckt wurde. Es wurde nicht restauriert.«
»Auch das ist höchst unwahrscheinlich. Die Platte könnte vielleicht drei- oder vierhundert Jahre überstanden haben, ohne großen Schaden zu nehmen, aber niemals die Hülle.«
Caliskan hatte sich mittlerweile an seinen monströs großen Schreibtisch gesetzt. Dahinter sah er aus wie ein kleiner Junge, der im Büro seines Vaters zu Besuch war. Er legte die Fingerspitzen aneinander und bedachte sie über seine Hände hinweg mit seinem Eulenblick. »Fahren Sie fort. Ich höre.«
»Papier hält sich nicht sehr lange. Das gilt besonders für das Papier aus Holzbrei, das man zu jener Zeit benutzte. Ironischerweise ist das Baumwollpapier aus einer viel früheren historischen Periode sehr viel haltbarer. Es lässt sich nicht so leicht bleichen, aber das Alaun, das man später bei der Holzbreiverarbeitung benutzt hat, durchläuft eine Hydrolyse und erzeugt Schwefelsäure.«
»Das ist nicht gut.«
»Das ist noch nicht alles. In der Tinte befinden sich Metalltannine, die ebenfalls Zerfallsprozesse auslösen. Ganz zu schweigen von Kontaminationen durch die Luft. Die Klebemittel trocknen aus. Die Etiketten lösen sich und die Hülle fällt an den Klebestellen allmählich auseinander. Die Farben verblassen. Die Lackfarbe auf dem Karton wird bräunlich und blättert ab.« Auger nahm die Hülle zur Hand und begutachtete sie erneut, fest davon überzeugt, dass sie etwas übersehen hatte. »Mit den richtigen Verfahren kann man einen Großteil dieser Schäden beheben. Aber die Artefakte, die dabei herauskommen, sind trotzdem unglaublich zerbrechlich – und viel zu wertvoll, um sie so zu behandeln. Und dieses Artefakt ist definitiv nicht restauriert worden.«
»Wie ich es Ihnen gerade gesagt habe.«
»Na schön. Dann muss die Platte rund dreihundert Jahre in einer Vakuumkammer oder irgendeiner anderen Schutzvorrichtung gelegen haben. Jemand muss bewusst dafür gesorgt haben, dass sie erhalten bleibt.«
»Es gab keinerlei besondere Maßnahmen«, entgegnete Caliskan hartnäckig. »Wie gesagt, wir haben sie genauso, wie sie ist, vorgefunden. Dazu hätte ich noch eine Frage: Wenn Sie den Verdacht hätten, dass es sich um eine Fälschung handelt, wie würden Sie es beweisen?«
»Eine Fälschung aus jüngerer Zeit?« Auger zuckte die Achseln. »Ich könnte eine Menge Sachen probieren. Eine chemische Analyse des Schellacks zum Beispiel, aber natürlich würde ich die Platte nicht anrühren, bevor wir die Rillen mit einem Laser ausgelesen und das Ganze auf Magnetband gespeichert hätten.«
»Einwandfreie Methodik. Was noch?«
»Ich würde die Zellfasern des Papiers einer Kohlenstoff-Datierung unterziehen.«
Caliskan rieb sich nachdenklich die Nase. »Das ist ziemlich schwierig bei einem Objekt, das wahrscheinlich nur drei- oder vierhundert Jahre alt ist.«
»Aber machbar. In letzter Zeit haben wir die Kalibrierung ein wenig verfeinert. Und ich würde ja nicht versuchen, ein genaues Datum zu bestimmen, sondern nur ermitteln, ob es aus jüngerer Zeit stammt.«
»Und mit welchem Ergebnis würden Sie rechnen?«
»Ich würde nicht mit bestimmten Ergebnissen rechnen, aber ich würde wetten, dass dieses Artefakt eine geschickte Täuschung ist, ganz gleich, wie wasserdicht seine Herkunft erscheinen mag.«
»Dann würden Sie Recht behalten«, sagte Caliskan. »Mit den üblichen Tests kämen Sie zum Schluss, dass dieses Artefakt erst vor kurzer Zeit hergestellt wurde.«
Auger hatte das sonderbare Gefühl, als würde plötzlich eine Spannung aus ihrem Körper weichen, als wäre sie innerlich aufgewühlt gewesen, ohne es zu bemerken. »Hat diese Unterhaltung irgendeinen tieferen Sinn?«
»Der Punkt ist, dass es in meinen Ohren trotz allem nach Mahler klingt.«
»Das kann ich nicht
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