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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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nicht weiter, und wenn ich mit dir hier bleibe, komme ich auch nicht weiter. Und das reicht mir nicht. In Amerika ist es vielleicht anders.«
    »Ist das wahr? Dass du mich immer noch liebst?«
    »Du wärst nicht zum Bahnhof gekommen, wenn du nicht das Gleiche für mich empfinden würdest. Du hättest den Brief einfach ignorieren können, hättest so tun können, als sei er nie angekommen – oder zu spät.«
    »Das hätte ich tun können«, räumte Floyd ein.
    »Warum hast du es dann nicht getan? Aus dem gleichen Grund, aus dem ich dir geschrieben habe. Ganz gleich, wie viel Kummer und Schmerz wir uns gegenseitig bereiten, wenn wir zusammen sind – wenn wir voneinander getrennt sind, ist es viel schlimmer. Ich wollte über dich hinwegkommen, Floyd. Ich habe mir sogar eingeredet, dass ich es geschafft hätte. Aber ich war nicht stark genug.«
    »Du bist nicht über mich hinweggekommen, aber du wirst mich trotzdem verlassen, wenn ich nicht bereit bin, mit dir nach Amerika zu kommen?«
    »Es ist die einzige Möglichkeit. Entweder, wir sind zusammen, oder wir sind nicht auf dem gleichen Kontinent.«
    »Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken.«
    »Wie gesagt, du hast gut zwei Wochen. Das sollte doch genügen.«
    »Ich glaube, es spielt keine große Rolle, ob es eine Woche oder ein Jahr ist.«
    »Dann zermartere dir deswegen nicht den Schädel.« Greta rückte näher an ihn heran, nahm seine Hand und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ich bin in diesem Zimmer aufgewachsen«, sagte sie. »Es war der Mittelpunkt meines Universums. Ich kann kaum glauben, wie klein und dunkel es jetzt aussieht, wie entsetzlich traurig und erwachsen ich mich hier fühle.« Ihr Griff um seine Hand wurde fester. »Ich war hier glücklich, Floyd. So glücklich wie jedes andere Mädchen in Paris auch. Aber jetzt erinnert es mich nur noch daran, dass ich einen Großteil meines Lebens hinter mir habe und dass viel weniger vor mir liegt, seit ich das letzte Mal hier war.«
    »Irgendwann erwischt es jeden«, sagte Floyd. »Das Erwachsenwerden, meine ich.«
    Sie rückte noch näher an ihn heran, sodass er ihr Haar riechen konnte – nicht nur den Parfümduft von der letzten Wäsche, sondern auch die angesammelten Gerüche der beschwerlichen Reise, die sie hinter sich hatte, den Rauch und Staub und den Geruch anderer Leute, und – irgendwo tief drinnen – ein Stück Paris.
    »Ach, Floyd«, hauchte sie. »Ich wünschte, es würde nicht auf diese Art geschehen. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Aber wenn sie nicht mehr da ist, möchte ich keine Minute länger als nötig in dieser Stadt bleiben. Hier gibt es zu viele traurige Erinnerungen, zu viele Gespenster, und ich will mich nicht für den Rest meines Lebens von ihnen heimgesucht fühlen.«
    »Das solltest du auch nicht«, sagte Floyd. »Und du hast Recht mit dem, was du tust. Geh nach Amerika. Du wirst wie eine Bombe einschlagen.«
    »Ich werde auf jeden Fall gehen, aber ich werde nur dann wirklich glücklich sein, wenn du mich begleitest. Denk darüber nach, Floyd. Denk so gut darüber nach, wie du noch nie in deinem Leben über etwas nachgedacht hast. Es könnte genauso deine große Chance sein wie meine.«
    »Ich denke darüber nach«, versicherte ihr Floyd. »Aber rechne nicht damit, dass ich vor morgen Früh zu einer Antwort komme.«
    Er dachte darüber nach, mit ihr zu schlafen – er hatte daran gedacht, seit er ihren Brief geöffnet hatte. Er zweifelte kaum daran, dass sie es zulassen würde, wenn er es versuchte. Und er zweifelte ebenso wenig daran, dass sie von ihm festgehalten werden wollte, bis sie, emotional und körperlich völlig erschöpft, in einen leichten, unruhigen Schlaf fiel. Sie murmelte Worte auf Deutsch, die er nicht verstand. Sie klangen eindringlich und beschwörend, aber genauso gut konnten sie völlig bedeutungslos sein. Dann wurde sie langsam ruhig.
    Um drei Uhr morgens legte er sie behutsam ins Bett, zog die Decke über sie und trat in den Regen hinaus, um sie allein im Zimmer zurückzulassen, in dem sie aufgewachsen war.

 
Sechs
     
     
    Mit Thomas Caliskan allein in einem Zimmer zu sein bereitete Auger deutliches Unbehagen, als wäre sie in eine klebrige, ekelerregende Falle getappt. Caliskan war ein magerer Mann mit ordentlich aus der aristokratischen Stirn gekämmter silberweißer Mähne, die ihm bis zum Kragen reichte. Er bevorzugte Kostüme aus Seide und Knittersamt kombiniert mit langem Frack – ein wohldurchdachter Anachronismus. Dazu

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