EwigLeid
erwiderte kühl: „Ich weiß nicht, was du meinst. Seit wir im Wasserschutzgebiet waren, reden wir über den Fall. Ist dir noch etwas Neues eingefallen?“
Zu ihrer Verblüffung klappte er die Akte, die vor ihr lag, einfach zu. Langsam hob sie den Blick zu ihm. Mit verschränkten Armen lehnte er an ihrem Schreibtisch und sah auf sie herab.
„Ich weiß, du bist sauer, weil ich mit Stevens über dich gesprochen habe, aber ich kann meine Einstellung nicht ändern. Ich hätte lügen und behaupten können, ich hätte absolut keine Bedenken, wenn du den Embalmer-Fall übernimmst, doch das habe ich nicht getan. Verzeih, dass ich nicht schuld sein möchte, wenn du oder jemand anderer umkommt, nur weil du beweisen willst, wie hart im Nehmen du bist, statt dir die nötige Zeit zur Genesung zu lassen.“
Jetzt war sie es, die abrupt von ihrem Stuhl aufsprang. „Wovon soll ich genesen? Mein Bein verheilt großartig.“
„Ich spreche nicht von deinem Bein, und das weißt du auch. Willst du mir allen Ernstes erzählen, es wäre spurlos an dir vorbeigegangen, dass du fast getötet worden wärest? Und dass du einen Sechzehnjährigen erschossen hast? Das kaufe ich dir nicht ab.“
„Du brauchst mir überhaupt nichts abzukaufen. Du hast Stevens gegenüber eingestanden, dass du mich als Polizistin nicht geschlechtsneutral sehen kannst. Und du hast kein Recht, mir diese Frage zu stellen.“
Sie spürte, dass sie die Beherrschung verlor. Und das passte ihr nicht. Was Jase anging, brauchte sie alles an Beherrschung, was sie aufbringen konnte. Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, um Abstand zu gewinnen und Luft zum Atmen zu haben, doch er hielt sie sanft am Arm zurück.
„Hör mir zu. Ich kann dich in unserem Beruf nicht geschlechtsneutral betrachten. Nicht ganz. Und ob mir das leidtut? Ich weiß nicht. Es hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun, sondern mit dem, was wir alle einbringen, sei es gut oder schlecht, und offen gesagt, das Geschlecht spielt dabei eine Rolle. Vielleicht bin ich deswegen ein Steinzeitmensch und ein Arschloch, aber ich bin so veranlagt, dass ich Frauen beschütze. Sie vor Bösem bewahre. Aber das ist mein Problem, und das habe ich auch zu Stevens gesagt.“
„Ja, und Mac ebenfalls“, sagte sie bitter und befreite ihren Arm aus seinem Griff. „Wie großzügig von euch beiden.“
„Verdammt noch mal, begreifst du denn nicht? Es geht nicht darum, dass wir dich als weniger kompetent einschätzen, Carrie. Meine Frage, ob du verstört bist, ist berechtigt. Das ist eine geschlechtsneutrale Frage. Dass du eine Frau bist, bringt vielleicht mit sich, dass ich eher bereit bin, diese Frage zu stellen, aber ein Kerl wäre genauso verstört. Ich war selbst erschüttert, als ich zum ersten Mal jemanden töten musste. Und als ich zum ersten Mal beinahe in Ausübung meines Dienstes gestorben wäre. Du hast die Narben mit eigenen Augen gesehen, doch es sind auch seelische Narben geblieben. Dessen muss sich niemand schämen.“
Sie mochte nicht an diese Narben und sein knappes Davonkommen denken. Sie fragte sich, ob er diese Sache absichtlich erwähnte, nicht nur, um seine Argumente zu untermauern, sondern um noch ein bisschen weiter in ihr Bewusstsein vorzudringen. In ihr Herz. Sie presste eine Hand an ihre Schläfe und versuchte nachzudenken. Sich zu konzentrieren und seine Worte so ernsthaft abzuwägen, wie sie es verdient hatten, bevor sie antwortete. „Ich … ich schäme mich nicht“, sagte sie schließlich. „Selbst wenn du recht hättest, selbst wenn ich Porters Tod noch nicht verwunden haben sollte, werden meine Leistungen dadurch nicht beeinträchtigt. Das lasse ich nicht zu.“
Er griff ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Weil du Supergirl bist, nicht wahr?“
Um ein Haar hätte sie eine Grimasse gezogen. Himmel, wie sie diesen Spitznamen hasste. Wie viele Männer in ihrem Leben hatten sie so genannt? Wie viele Männer hatten diesen Spitznamen im selben ironischen Tonfall ausgesprochen? Allerdings hatte Jase eher entnervt-liebevoll geklungen als ironisch. Weil ihr das bewusst wurde, lächelte sie gepresst. „So ungefähr. Können wir uns jetzt bitte wieder an die Arbeit machen und uns mit dem Fall befassen?“
„Schön.“ Er setzte sich wieder und drehte seinen Stuhl so, dass er Carrie ansehen konnte. „Mal angenommen, Kelly Sorensons Mörder ist der Embalmer und nicht ein Trittbrettfahrer. Was er mit ihr angestellt hat, ergibt keinen Sinn. Zwar schneidet er die Augenlider ab,
Weitere Kostenlose Bücher