Ewiglich die Hoffnung
gemeißelt. Sein blondes Haar, vor allem die feinen Strähnen, die ihm immer ins Gesicht fielen.
Wenn ich nah genug an ihn herankäme, könnte ich ihm vielleicht ein Haar ausreißen.
Ich konnte an nichts anderes denken. Erst recht bei der Aufgabe, die mir heute bevorstand. Ich öffnete die Augen und griff nach dem Korb mit meinem Strickzeug, der neben dem Schreibtisch stand. Vor mir lag einer dieser Tage, an denen ich eher einen ganzen Pullover fertig stricken konnte, als meine Gedanken zu jenen dunklen Orten schweifen zu lassen.
Als ich die erste Reihe Maschen strickte und das rote Garn um die Nadelspitze schlang, wurden die Knoten im Muster fester, und die Knoten in meinem Bauch lösten sich. Stricken war Überleben.
Ein würziger Duft ließ mich mitten in der nächsten Reihe innehalten.
Schinkenspeck.
Irgendwas stimmte nicht. Woher kam der Duft? Vielleicht hätte das sonst niemanden beunruhigt, aber ich hatte seit fast zwei Jahren keinen frisch gebratenen Schinkenspeck mehr in unserem Haus gerochen.
Seit meine Mom gestorben war.
Ich legte mein Strickzeug beiseite, strich die ausgeschnittenen Schlagzeilen glatt und schloss die Kartenschublade. Soweit ich wusste, hatte mein Dad keine Ahnung von der Schublade, und das sollte auch so bleiben.
Als ich meine Zimmertür öffnete, wurde der Schinkenspeckgeruch noch durch Pfannengeklapper aus der Küche untermalt. Ich wusste nicht, ob es an dem Geruch lag oder an den Geräuschen, aber eine jähe Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf – wie meine Mom und ich an einem Sonntagmorgen zusammen beim Frühstück saßen. Ich aß früher unheimlich gern Schinkenspeck. Manchmal waren der Duft und die Aussicht auf Schinkenspeck für mich der einzige wirkungsvolle Ansporn gewesen, morgens in die Gänge zu kommen. Vor ihrem Tod hatte meine Mom diese Taktik mehrmals angewendet. Allerdings mochte sonst niemand in meiner Familie Schinkenspeck besonders, weshalb mir jetzt schleierhaft war, wer ihn da wohl gerade zubereitete.
Ich zog mich flink an und ließ mich dann von dem Duft in die Küche locken, wo mein Dad am Herd stand, einen Pfannenheber in der Hand. In dem Morgenlicht, das durchs Fenster drang, sah sein frisch gekämmtes Haar grauer aus als sonst. Sein Gesicht war noch immer zu hohlwangig, und das nun schon seit ein paar Monaten.
Einen Moment lang spürte ich die Schuldgefühle schwer in der Magengegend.
»Gibt’s einen besonderen Anlass?«
»Guten Morgen, mein Schatz.« Er ließ seine Stimme übertrieben munter klingen. »Gar keinen. Ich hab bloß gedacht, es ist ein Weilchen her, dass wir zuletzt richtig anständig gefrühstückt haben. Schinkenspeck magst du doch noch immer, oder?«
Er war so … beschwingt. »Ja«, sagte ich misstrauisch.
»Prima!« Er nahm einen Teller von der Granitarbeitsplatte und häufte Rührei und eine Riesenmenge Schinkenspeckstreifen darauf. »Saft steht schon auf dem Tisch.«
»Okay. Ähm … danke.«
Ich setzte mich neben Tommy, meinen zehnjährigen Bruder, der schon dabei war, sich durch einen Berg Rührei zu arbeiten. Er hob seine Gabel und grinste mich an. »Das Frühstück ist spitze!«
Okay, vielleicht war unser letztes gemeinsames Frühstück doch länger her, als ich gedacht hatte.
»Ja, stimmt.«
Ich blickte auf meinen Teller voller Proteine und musste einen aufsteigenden Brechreiz unterdrücken. Vielleicht konnte man die Vorliebe für Schinkenspeck anders als Fahrradfahren ja doch verlernen. Mein Magen rebellierte jedenfalls schon beim Anblick.
Mein Dad schaltete die Herdplatte aus und kam mit seinem Teller an den Tisch.
»Das ist doch nett so zusammen, nicht?«, sagte er.
»Es ist spitze!«, sagte Tommy wieder.
Ich verkniff mir ein Lachen. Es war, als hätten wir noch nie zusammen gefrühstückt.
»Du warst gestern Abend noch lange wach«, sagte mein Dad. Wahrscheinlich hatte er das Licht in meinem Zimmer gesehen. »Konntest du nicht schlafen?«
»Ich hab noch gelesen.« Besser gesagt, geforscht. Ich studierte jede Sage, die ich in die Hände kriegen konnte.
Mein Dad hob seine Aktentasche auf den Tisch. »Da fällt mir ein, ich hab was für dich.«
Ich musterte den Schinkenspeck argwöhnisch, weil mir plötzlich der Verdacht kam, er könnte ein Bestechungsversuch sein. »Was denn?«
»Momentchen.« Er kramte tief in der Ledertasche herum. »Ah. Da ist es ja.« Er holte ein großes, abgegriffenes Buch hervor. »Sally im Büro hatte es.«
Er reichte es mir. Vorne auf dem Umschlag stand D’Aulaires’ Buch
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