Ex
Lieben werden durch das Medium antworten. Oder Sie können Merle oder Minnie einen persönlichen Gegenstand, eine Uhr oder einen Schlüsselring, ein Schmuckstück oder sonst irgend etwas geben, entweder von Ihnen selbst oder aus dem Besitz Ihres lieben Verstorbenen. Die Schwingungen werden über das Medium in die Geisterwelt geleitet, zu demjenigen, mit dem Sie in Kontakt treten wollen.«
Nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatte, daß die Augenbinde nicht verrutschen konnte, trat Ellie ein paar Schritte zurück.
»Ich lasse Sie jetzt allein, doch zuvor muß ich Sie noch bitten, eine Weile ganz still zu sein, während sich das Medium auf die Geisterwelt einstimmt. Danach werden Sie dann aufgefordert, die Hand zu heben, falls Sie eine Frage stellen möchten. Doch jetzt bitte Ruhe, verehrte Damen und Herren… seien Sie bitte ganz still…«
Das Licht verdunkelte sich, während Ellie durch den Seitenausgang von der Bühne schlüpfte und Murray seine Trance-Position einnahm: Den Kopf gebeugt, atmete er tief und gleichmäßig, seine Brust hob und senkte sich schwer. Dann ging langsam ein weißer Spot direkt über ihm an und traf ihn wie ein Strahl himmlischen Lichts. Etwa nach einer Minute hob Murray zögernd den Kopf, als würde er jemandem seitlich über sich zuhören. Schließlich nickte er, als bestätige er damit das Zugegensein eines unsichtbaren Wesens.
Nun drang wieder Marks Stimme aus den Lautsprechern über den erwartungsvoll gereckten Köpfen. »Meine Damen und Herren, das Medium ist bereit«, gab er leise bekannt. »Bitte heben Sie die Hand, wenn Sie eine Frage stellen möchten.«
Von ihrem Platz am Computer aus, den Saal gut im Blick, beobachtete Ellie, wie Merle unsicher schien, wem sie in diesem Meer aus erhobenen Händen zuerst das Mikrofon reichen sollte. In einer schauspielerischen Glanzleistung schien sie schließlich eine Zufallsentscheidung zu fällen – doch sie machte keinen Fehler, als sie das Mikrofon, wie vorher mit Ellie abgesprochen, einer pummeligen Frau gut über sechzig übergab, deren Gatte vor kurzem verschieden war und ihr ein millionenschweres Vermögen, fest angelegt in mündelsicheren Wertpapieren, hinterlassen hatte…
Eine sehr gekonnte Vorstellung, wie Joanna widerwillig einräumen mußte. Murray hatte mehrere Fragen, laut gestellte wie auch unausgesprochene, beantwortet und jedesmal erstauntes Gemurmel von seinem Publikum geerntet. Nun lieferte er eine Demonstration in Psychometrie. Mit seinen Wurstfingern befühlte er eine Brosche, die ihm eine Frau aus den vorderen Reihen heraufgereicht hatte. Er nannte Namen und Orte, wobei er die Informationen, die Ellie ihm ins Ohr flüsterte, geschickt ausschmückte. Eindrucksvoll, aber nur wenn man nicht wußte, wie so etwas gemacht wurde. Und Joanna wußte Bescheid.
Niemand, der einfach nur so am Tor des Starburst-Camps auftauchte, wurde gleich hier hereingelassen – da half es auch nichts, wenn man der habgierigen Ellie ein Bündel Geldscheine unter die Nase hielt. War das Bündel allerdings dick genug, wurde man vielleicht zum Tee in die Privatwohnung der Rays eingeladen und bekam sogar eine kleine Führung über das Gelände. Während dieser Stunden erzählte man unweigerlich genug über sich, um den Rays einen ersten Anhaltspunkt zu geben. Der Rest war Routine.
Zuerst wurde im landesweiten Esoterik-Netzwerk nach dem neuen Interessenten gefahndet. Eine überraschend große Zahl von Leichtgläubigen ging von Wahrsager zu Wahrsager, von Medium zu Medium, und nahm oft weite Reisen auf sich, um Rat zu erhalten. Hätte diesen Leuten jemand erzählt, daß die Dinge, die sie über sich zu hören bekamen, per Fax oder E-Mail von dem letzten Scharlatan, dem sie aufgesessen waren, weitergegeben worden waren, sie hätten es nicht geglaubt. Weil sie es nicht glauben wollten. Sie hingen lieber weiter dem Spiritismus an.
Hatte die Fahndung im Netzwerk keinen Erfolg, beauftragte Ellie einfach eine Detektei, die sie ständig unter Vertrag hatte, und ließ den Betreffenden möglichst gründlich ausspionieren. Eines stand jedenfalls fest: Wenn Ellie, Murray oder irgendeiner ihrer Kollegen mit dem leichtgläubigen Opfer eine Séance veranstalteten, war alles detailgenau geplant und bis aufs i-Tüpfelchen vorbereitet. In der Geisterwelt gab es keine Überraschungen.
Doch schon sehr bald würde es eine geben. Verstohlen fuhr sich Joanna mit der Hand unter die dunkle Perücke und preßte den Ohrstöpsel fester an seinen Platz. Das
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