Ex
hielt den Mund. Er mußte vorsichtig vorgehen, auf der Hut sein. Einerseits wollte er unbedingt die Gewißheit haben, daß Joanna wohlauf war, andererseits durfte er Cazaubon nicht gegen sich aufbringen. Er mußte mit ihm reden, herausfinden, wer er war und noch eine Menge anderes, er mußte ihm mehr Fragen stellen, als es ihm, einem Fremden, zustand. Sam war klar, daß er am Telefon ziemlich seltsam geklungen haben mußte. Allerdings schien Cazaubon durch Sams äußere Erscheinung etwas beruhigt zu sein, zumindest für den Augenblick. Sam Towne wirkte nicht sonderlich bedrohlich. Er war von durchschnittlicher Größe und Statur, etwa genauso alt wie Cazaubon und sah aus wie das, was er war – ein unterbezahlter Akademiker ohne große materielle Ansprüche und Besitztümer. Als er sein Abbild in dem großen venezianischen Spiegel über dem steinernen Kamin erblickte, fiel ihm auf, wie schäbig er in dieser Umgebung wirkte mit seinem offenen Regenmantel über der abgetragenen Kordsamtjacke, dem Jeanshemd und der Jeans.
»Verzeihen Sie«, sagte Cazaubon, als hätte er gegen die Etikette verstoßen, »darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
Sam zog ihn aus und gab ihn ihm. »Ich werde Ihre Zeit nicht länger als nötig in Anspruch nehmen«, erwiderte er wie zur Beruhigung.
Cazaubon nickte und ging in die Eingangshalle, wo er den Mantel an einem antiken, eisernen Kleiderständer aufhängte. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte er dann, wobei seine guten Manieren sein noch immer vorhandenes Mißtrauen nicht völlig verbergen konnten.
»Nein, vielen Dank.«
»Dann setzen Sie sich doch und sagen Sie mir, worum es geht.«
Cazaubon deutete auf ein hellbeiges italienisches Sofa, nahm in einem Sessel gegenüber davon Platz und wartete.
Als Sam sich setzte, verschränkte er die Finger, um seine nervösen Hände ruhig zu halten.
»Das wird Ihnen alles sehr seltsam vorkommen. Aus dem zu schließen, was Sie mir am Telefon gesagt haben, hat Ihnen Ihre Frau also nie von mir oder meiner Arbeit erzählt…«
»Nach bestem Wissen und Gewissen nein, Mr. Towne – Entschuldigung, Dr. Towne sagten Sie, nicht wahr?«
»Ja, ich bin Psychologe an der Manhattan University«, erwiderte Sam. »Ich leite ein Forschungsprojekt, das sich mit anomalen Phänomenen verschiedenster Art befaßt.« Ein neuerliches Zucken seiner Finger überspielte er mit einer freimütigen Geste, während er die übliche Litanei herunterbetete, mit der er seine Arbeit immer vorstellte. »Im wesentlichen untersuchen wir die Beziehungen zwischen menschlichem Bewußtsein und meßbaren physikalischen Fakten und Systemen. Dazu gehören Bereiche wie Telepathie, Präkognition, Psychokinese, Hellsehen…«
Cazaubons Augen verengten sich. »Soll das heißen, Sie betreiben so etwas wie esoterische Forschungen?«
»Grob gesagt ja, aber ich mag den Begriff ›esoterisch‹ nicht, weil er ziemlich vage ist und die beobachteten Phänomene in ein negatives Licht stellt. Unter uns sind Psychologen, Techniker, Statistiker und Physiker. Wir sind ein achtköpfiges Team, obwohl wir auch mit anderen Fakultäten sowie mit Gruppen und Personen außerhalb der Universität zusammenarbeiten.«
»Was hat das alles mit meiner Frau zu tun? Soweit ich weiß, hat sie in solchen Dingen keinerlei Erfahrung und interessiert sich auch nicht dafür.«
Jetzt mußte Sam aufpassen. Er wußte noch immer nicht, mit wem oder was er es zu tun hatte. Zwar wirkte sein Gegenüber recht normal, ein gebildeter, nachdenklicher Mann. Aber Sam durfte nichts mehr als gegeben voraussetzen.
»Jemand mit dem Namen Ihrer Frau, oder besser gesagt mit ihrem Mädchennamen Joanna Cross, hat bei einem Projekt mitgearbeitet, das ich eine Zeitlang geleitet habe.«
Cazaubon starrte ihn ungläubig, beinahe schon feindselig an. »Das ist ausgeschlossen. Davon würde ich wissen. Da muß ein Irrtum vorliegen.«
»Vielleicht. Wenn es ein Irrtum ist, bin ich hier, um ihn aufzuklären.«
Voller Unruhe, die er jedoch zu verbergen suchte, sprang Cazaubon auf und ging zum Kamin, wo er auf den leeren Rost hinabstarrte. Dann wandte er sich wieder seinem Gast zu.
»Sie meinen, da draußen läuft irgendeine Frau herum, die sich als meine Frau ausgibt? Habe ich das richtig verstanden?«
»Ich möchte Sie nicht beunruhigen. Bestimmt gibt es eine plausible Erklärung…«
»Entschuldigen Sie, aber ich finde das in der Tat höchst beunruhigend.« Cazaubons Ton wurde schärfer. »Und es sieht mir ganz danach aus, als
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