Ex
Murray Ray kamen vielleicht in Groschenromanen vor, aber nicht im wirklichen Leben. Und diese Joanna Cross, der angeblich all diese haarsträubenden Dinge zugestoßen waren, hatte nie existiert. Am besten ignorierte man das Ganze und vergaß es möglichst schnell. Warum sollte er – oder am Ende gar Joanna – sich darüber unnötig den Kopf zerbrechen? Sam Townes Geschichte war abergläubischer Quatsch, weder beweisbar noch widerlegbar, Unsinn, wie man ihn massenhaft in den diversen Boulevardzeitungen finden konnte, die an der Supermarktkasse auslagen. Es könnte ihr ganzes weiteres Leben ruinieren, wenn derartige Gerüchte über sie in Umlauf kämen. Ohne eine Spur von Reue brachte er die schwarze Asche ins Badezimmer und spülte sie die Toilette hinunter.
Danach hatte er gedacht, alle Sorgen seien überstanden, bis Joanna sich in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt noch einmal ins Haus zu müssen. Nur ein einziges Mal, meinte sie. Als eine Art Exorzismus. Sie wolle den Geist nicht nur aus dem Haus, sondern auch aus sich selbst austreiben, sie wolle sich von der Angst befreien, daß etwas Fremdartiges und Unnatürliches über sie hereingebrochen sei. Und dazu müsse sie dem Haus einen letzten, rituellen Besuch abstatten.
Dieser Gedanke erfüllte Ralph mit düsteren Vorahnungen, die er sich selbst nicht erklären konnte.
»Na gut«, sagte er. »Wenn ich dich nicht davon abbringen kann, dann laß mich wenigstens mitgehen. Das ist dir doch hoffentlich recht?«
»Aber natürlich kannst du mitgehen.« Sie schob ihren Arm unter seinen und gab ihm einen Kuß. »Wir gehen zusammen hin, und dann lassen wir das alles hinter uns.«
Der nächste Tag war klar und frostig. Im kalten Licht der Sonne traten die Konturen der Stadt gestochen scharf hervor. Kurz nach zehn Uhr betraten sie das Haus, gingen zuerst zur Küche hinunter, dann wieder hinauf ins Wohnzimmer, wo alles angefangen hatte. Die beschädigten Möbel waren entfernt worden, die Teppiche gereinigt, die Lampen repariert. Und über dem Kamin hing ein neuer Spiegel.
Sie gingen in den ersten Stock, wo sie sich im Musikzimmer, in den Gästezimmern und in dem kleinen, nach hinten gelegenen Raum umsahen, in dem Ralph sich eine Bibliothek eingerichtet hatte. Dann stiegen sie noch eine Treppe höher zum Schlafzimmer und dem angrenzenden Badezimmer. In dem von strahlendem Sonnenlicht durchfluteten Raum blieben sie eine Weile schweigend stehen.
»Weißt du«, meinte sie, »jetzt bedauere ich es fast, daß wir uns entschlossen haben, das Haus zu verkaufen.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Mir geht es genauso. Aber trotzdem halte ich es für das beste, du nicht?«
Sie nickte versonnen. »Doch, das glaube ich auch. So wie früher kann es einfach nicht mehr werden, stimmt’s?«
Als sie wieder hinuntergingen, hörten sie auf halbem Weg, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Sie erstarrten und sahen einander an. Einen Moment lang war ihnen beiden unbehaglich zumute, doch dann verzog sich Ralphs Gesicht zu einem beschwichtigenden Grinsen.
»Das habe ich ganz vergessen«, sagte er. »Madge Rheinhart vom Maklerbüro hat angerufen. Sie meinte, sie würde ein Ehepaar mitbringen, das das Haus besichtigen will. Anscheinend sind sie wirklich ernsthaft interessiert. Es ist genau das, was sie gesucht haben, und sie haben auch das Geld. Gehen wir runter und begrüßen wir sie.«
In der Diele angekommen, stutzte Joanna. Sie wußte nicht warum, aber irgendwie kamen ihr diese zwei kleinen, ältlichen Leute neben der großen, eleganten Miss Rheinhart merkwürdig bekannt vor. Die Frau trug einen teuren Pelzmantel, der Mann einen Kamelhaarmantel und eine schwarze Pelzkappe. Doch als sie und Ralph näherkamen und sich das Ehepaar umdrehte, stellte sie fest, daß sie die beiden noch nie zuvor gesehen hatte.
»Oh, Mr. und Mrs. Cazaubon«, flötete Madge Rheinhart mit aufgesetztem Charme. »Ich wußte nicht, daß Sie noch da sind. Ich glaube, wir haben soeben Ihr Haus verkauft. Darf ich Ihnen Mr. und Mrs. Ray vorstellen?«
»Murray«, sagte der alte Mann und nahm respektvoll seine Pelzkappe ab. »Und das ist meine Frau Ellie.«
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