Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

die Augen, um sie gleich wieder aufzusperren.
    Ihre Haut verfärbte sich tiefgrün. Die Augen rutschten in ihrem Gesicht herum. Ihre Unterlippe schob sich schaufelartig vor. Ihre Hüften begannen zu schmelzen. Flammen irrlichterten über die Scheibe. Rawlins hörte tiefe, dröhnende Akkorde einer unsichtbaren Orgel. Er konzentrierte sich verzweifelt auf die Anweisungen des fernen Gehirns, das ihn leitete, und gelangte unverletzt vor einen Wald wirbelnder Messer an der inneren Grenze von Zone H.

Kapitel 15
     
    Die Hitze wurde mit jedem Schritt intensiver, drang durch die dicken Stiefelsohlen. Man musste auf Zehenspitzen über das Pflaster gehen. Dies war beunruhigend, weil keiner, der zuvor diesen Weg gegangen war, Ähnliches erlebt hatte. War er auf dem richtigen Weg? Konnte das Labyrinth Variationen einführen, neue Barrieren errichten, wo keine gewesen waren? Wie heiß konnte es noch werden? Wo würde die Hitzezone enden? Würden sie jemals Zone F erreichen? War dies eine bewusste Gegenaktion Richard Müllers, die ihnen den Zugang versperren sollte?
    Vielleicht hat er Boardman erkannt und versucht ihn umzubringen, dachte Rawlins. Die Möglichkeit ist gegeben. Müller hat jeden Grund, Boardman zu hassen. Vielleicht sollte ich schneller gehen und einen größeren Abstand zwischen Boardman und mich legen. Es scheint noch heißer zu werden. Unerträglich heiß. Aber Boardman, sollte er durchkommen, würde mich der Feigheit und Unkameradschaftlichkeit beschuldigen. Nein, ich kann es nicht machen. Er ist ein gewissenloser alter Teufel, aber ich darf ihn jetzt nicht im Stich lassen.

Kapitel 16
     
    Boardman empfand den Abwehrschirm tief im Innern von Zone G als die schwerste Prüfung von allen. Die Gefahr fürchtete er nicht; Marshall war der einzige unter den Kundschaftern gewesen, der an dieser Stelle gescheitert war. Nein, Boardman fürchtete sich, einen Ort zu betreten, wo die Beweise seiner Sinne nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Boardman verließ sich auf seine Sinne; vor zehn Jahren hatte er sich neue Netzhäute einsetzen lassen, weil seine Augen schwach geworden waren. Man kann seine Umwelt nicht richtig einschätzen, wenn man nicht darauf vertrauen darf, dass man sie klar sieht.
    Nun war er im Feld des Abwehrschirms.
    Parallele Linien vereinigten sich hier. Die dreieckigen Formen in den feuchten, fortwährend pulsierenden Wänden waren aus lauter stumpfen Winkeln konstruiert. Ein Fluss strömte seitwärts durch das Tal. Die Sterne waren ganz nahe über ihm, und die Monde umkreisten einander.
    Jetzt ist es nötig, die Augen zu schließen und sich nicht täuschen zu lassen.
    »Linker Fuß. Rechter Fuß. Linker Fuß. Rechter Fuß. Ein wenig links halten – mit dem Fuß vorrutschen. Mehr. Noch ein wenig. Rechten Fuß nachziehen. Linker Fuß. Nun wieder ein wenig nach rechts zurück. Weitergehen.«
    Verbotene Früchte lockten ihn. Sein ganzes Leben lang hatte er immer versucht, klar zu sehen. Die Verlockung von Sinnestäuschungen war unwiderstehlich. Boardman machte halt, pflanzte beide Füße fest auf den Boden. Wenn du hier herauskommen willst, sagte er sich, wirst du deine Augen geschlossen halten. Du hast kein Recht, aus Leichtsinn hier umzukommen, nachdem so viele Männer ihr Leben eingesetzt haben, um dir den Weg zum Überleben zu zeigen.
    Boardman stand still. Die leise Stimme des Computers versuchte ihn vorwärtszudrängen.
    »Moment«, sagte Boardman. »Ich kann mich ein bisschen umsehen, wenn ich mich dabei nicht von der Stelle bewege. Das ist der entscheidende Punkt: sich nicht bewegen.«
    Das künstliche Gehirn erinnerte ihn an den Feuerausbruch, der Marshall in den Tod getrieben hatte.
    Boardman öffnete seine Augen. Überall um sich her sah er die Verneinung der Geometrie. Es war wie der Blick in einen Zerrspiegel. Du bist achtzig Jahre alt und weißt, wie die Dinge auszusehen haben, sagte er sich. Mach deine Augen zu und geh weiter. Du gehst unnötige Risiken ein.
    Zuerst wollte er Ned Rawlins sehen. Der Mann war zwanzig Meter voraus und schlurfte langsam dahin. Natürlich mit geschlossenen Augen, wie alle die anderen. Ned war ein gehorsamer Bursche. Oder er fürchtete sich. Richtig, dachte Boardman, er will diese Sache überleben, und da ist es ihm nicht so wichtig, wie die Welt durch einen verzerrenden Abwehrschirm aussieht.
    Boardman hob sein rechtes Bein zum nächsten Schritt, hielt inne und setzte seinen Fuß behutsam auf die Stelle, wo er gestanden hatte. Direkt vor ihm tanzten