Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

schienen aufmerksam zuzuhören. Ein vielversprechendes Zeichen. Er stand auf und zeigte auf seine Arbeit.
    »Nun seid ihr an der Reihe«, sagte er. Er sprach ziemlich laut. Er lächelte breit. »Zeigt mir, dass ihr versteht. Sprecht zu mir in der universalen Sprache der Mathematik.«
    Keine Antwort.
    Er zeigte wieder auf seine Ritzzeichnungen, dann streckte er dem nächsten Hydraner seine Hand entgegen, die Handfläche nach vorn.
    Nach längerer Pause bewegte sich einer der anderen Hydraner anmutig vorwärts und ließ einen seiner stumpfen Füße über den Linien am Boden schweben. Im nächsten Moment begann das Bein hin und her zu schwingen, löschte die Zeichen aus und glättete die Erde.
    »Gut«, sagte Müller. »Nun zeichne du etwas.«
    Der Hydraner kehrte zu seinem Platz im Kreis zurück.
    »Auch gut«, sagte Müller. »Es gibt eine andere universale Sprache. Ich hoffe, sie beleidigt eure Ohren nicht.«
    Er nahm eine kleine Metallflöte aus der Tasche, schob den Atemfilter seines Anzugs vor die Nase, holte Luft und spielte eine diatonische Tonleiter. Sie reagierten mit kleinen Bewegungen ihrer dünnen Arme, also konnten sie hören oder wenigstens Vibrationen fühlen. Er versuchte es mit einer chromatischen Tonleiter Sie sahen etwas mehr bewegt aus. Gut für euch, dachte er. Feinschmecker. Vielleicht passt die chromatische Tonleiter besser zu diesem wolkigen Planeten. Er wiederholte die Tonleiter und spielte ein paar Takte Debussy.
    »Gefällt euch das?«, fragte er.
    Sie schienen zu beraten.
    Sie gingen fort.
    Er versuchte zu folgen. Es war unmöglich, mit ihnen Schritt zu halten, und bald verlor er sie im diesigen Dunkel des Waldes aus den Augen; aber er marschierte weiter und fand sie ein Stück weiter in einer Gruppe beisammenstehen, als ob sie auf ihn warteten. Als er näherkam, setzten sie sich wieder in Bewegung. In dieser Weise, durch wiederholtes Warten und Weitergehen, führten sie ihn in ihre Stadt.
    Er ernährte sich von der synthetischen Kraftnahrung, die er in seinem Rückengepäck mit sich trug. Die chemische Analyse zeigte ihm, dass es unklug wäre, einheimische Lebensmittel zu kosten.
    Viele Male zeichnete er den Pythagoräischen Lehrsatz. Er skizzierte verschiedene geometrische Formeln. Er spielte Schönberg und Bach. Er konstruierte gleichseitige Dreiecke und versuchte arithmetische Gesetze darzustellen. Er sang. Er sprach Französisch und Russisch, Deutsch und Englisch, um ihnen die Verschiedenartigkeit menschlicher Sprachen zu zeigen. Nach sechs Monaten wusste er nicht mehr über die Funktionsweise ihrer Gehirne, als er eine Stunde vor der Landung gewusst hatte. Sie duldeten seine Anwesenheit, aber sie sagten nichts zu ihm; und wenn sie sich untereinander verständigten, geschah es hauptsächlich durch rasche, flüchtige Gesten, Handberührungen, Zucken der Nasenschlitze. Sie kannten eine gesprochene Sprache, wie es schien, aber sie war so leise und hauchend, dass er weder Wörter noch Silben unterscheiden konnte. Wann immer er etwas hörte, nahm er es auf Band, aber es war enttäuschend wenig.
    Nach einiger Zeit wurden sie seiner müde und kamen, um die Geheimnisse seines Denkens und Fühlens offenzulegen.
    Er schlief.
    Erst viel später entdeckte er, was sie ihm angetan hatten, während er geschlafen hatte.

Kapitel 40
     
    Er war achtzehn Jahre alt, nackt unter dem Sternhimmel und den dunklen Baumsilhouetten. Der ganze Himmel flimmerte, und er bildete sich ein, er könne hinaufreichen und die Sterne vom Himmel pflücken.
    Ein Gott sein. Das Universum besitzen.
    Er wandte sich zu ihr um. Ihr Körper war kühl und schlank, leicht gespannt. Er umfing ihre Brüste mit seinen Händen. Er ließ seine Hand über ihren flachen Bauch gleiten. Sie erschauerte ein wenig. »Richard«, murmelte sie. »Oh.« Ein Gott sein, dachte er. Er küsste sie leicht, und dann heftiger. »Warte«, sagte sie. Er wartete und tat, was nach seinem Gefühl nötig war, um sie bereit zu machen, und bald begann sie leise zu stöhnen. Wieder murmelte sie seinen Namen. Wie viele Sterne kann ein Mensch in der Spanne seines Lebens besuchen? Wenn jeder Stern im Durchschnitt sechs Planeten hat und es in der Milchstraße hundert Milliarden Sterne gibt … Ihre Schenkel öffneten sich. Er schloss die Augen. Er fühlte weiche Fichtennadeln unter seinen Knien und Ellbogen. Sie war nicht seine erste, aber die erste, die zählte. Als der Blitz durch sein Gehirn zuckte, war er sich undeutlich ihrer Reaktion bewusst, zögernd und