Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
werden, wenn nicht die Deutschen seine Kandidatur unterstützen. Und auch dann nur, wenn siegeschmeidig vorgehen, mit Takt. Federsen senior allein wird es kaum schaffen. Raoul hat einen Fehler gemacht, daß er Klaus überhaupt davon gesprochen hat. Seufzend stieg er aus dem Boot, schlenderte langsam aus dem Tiergarten hinaus. Er ist auf Wiesener angewiesen; er muß, ob er will oder nicht, sich nochmals an ihn wenden.
Er hielt sich für den geborenen Herrn, der das Recht hat, die Dienste anderer zu beanspruchen, und trug kein Bedenken, andern Opfer zuzumuten. Allein in diesem Falle war er unsicher. Wiesener war höchst reserviert geblieben, er wird seine Gründe dafür haben. Da er, Raoul, sich aber über diese Gründe nicht klar ist, wird er nichts Rechtes dagegen anführen können, er wird vag herumreden müssen. Ihm war unbehaglich vor dieser zweiten Auseinandersetzung. »Ich habe keinen rechten Mumm«, pflegte in solchen Fällen Klaus Federsen zu sagen. Ich habe keinen rechten Mumm, dachte jetzt auch Raoul, und als wissenschaftlicher Geist, der er war, überlegte er sich, woher wohl das seltsame Slangwort stamme. Ob es mit der Sektmarke des gleichen Namens zu tun hat? Doch mit Mumm oder ohne, er mußte an die Sache heran.
In den nächsten Tagen ging er mehrmals zu Wiesener, allein er traf ihn niemals an. Freilich kam er, vielleicht mit Absicht, zu Stunden, die Wiesener gewöhnlich außer Hause verbrachte. Da er den Vater nicht traf, versuchte Raoul, Maria Hegner für sein Projekt zu gewinnen. Er setzte den Flirt mit ihr energisch fort, mühte sich, bezaubernd zu sein, sprach ihr von seinem Plan, bat sie, Wiesener dafür zu interessieren. »Sie müssen mir helfen, Maria«, bedrängte er sie und richtete seine grüngrauen Augen voll auf ihr großes, schönes Gesicht; mit seiner langen Hand nahm er die ihre, strich ihr zärtlich den Arm hinauf, seine tiefe Stimme war frech, schmeichlerisch. »Sie müssen mir helfen, Maria«, wiederholte er. »Monsieur Wiesener fand die Idee gut, aber enthusiasmiert, glaube ich, war er nicht. Sie können bei ihm mehr ausrichten als ich. Sie können bei Männern unendlich viel ausrichten, Maria. Wenn Sie nur wollen, hört er auf Sie. Ich weiß doch genau,welchen Einfluß Sie auf ihn haben. Sie müssen mir helfen, Maria.« Er sprach deutsch, mit jenem leisen Akzent, dessen Wirkung er kannte.
Maria sprach mit Wiesener von Raouls Vorhaben. Doch sie mußte rasch einsehen, daß es aussichtslos war. Sowie der Name »Jeanne d’Arc« fiel, wurde er mißtrauisch und sperrte sich zu. Gerade weil er dem Jungen gerne hätte helfen wollen, lenkte er den Ärger über die eigene Mutlosigkeit auf ihn ab. Raoul ist schrecklich anspruchsvoll. Wenn er schon jetzt, mit noch nicht neunzehn Jahren, politischen Ehrgeiz hat, dann soll er sich die Kastanien gefälligst selber aus dem Feuer holen. Man braucht es ihm nicht gar zu leicht zu machen. Sein eigener Start ist zehnmal schwieriger gewesen. Und hat der Bengel es nötig, sich hinter Maria zu stecken? Dabei freute es ihn, daß Maria Anteil an Raoul nahm und daß der den Geschmack hatte, mit ihr zu flirten.
Vorsichtig, nachdem Maria zu Ende war, kam er mit seinen Gegenargumenten; doch seine wahren Bedenken verschwieg er. Das Treffen der französischen Frontkämpfer mit den deutschen, erklärte er, sei kein rechter Erfolg, es sei, sagen wir es frei heraus, geradezu ein Mißerfolg gewesen; lasse man so kurz hernach eine ähnliche Veranstaltung steigen, so werde es nur Enttäuschungen geben.
Maria kannte ihn gut genug, um seine wahren Motive zu ahnen. Sein vages, mattes Gerede bestärkte sie in ihrer Vermutung. Sie schürzte die Lippen. »Sehr männlich finde ich es nicht«, meinte sie, »wie Sie sich in dieser Sache benehmen. Solche Argumente wie das vom Treffen der Frontkämpfer können Sie Lesern der ›Westdeutschen Zeitung‹ vorsetzen, aber nicht mir. Ich weiß natürlich, warum Sie zögern. Aber auf die Dauer werden Sie mit solchem Sich-Drehen und -Winden doch nicht durchkommen. Es werden bestimmt Situationen eintreten, wo Sie dennoch für Ihre Beziehungen zu Herrn de Chassefierre und seiner Mutter einstehen müssen. Wenn Sie so übervorsichtig sind, täten Sie besser, diese Beziehungen überhaupt abzubrechen. Mir gefällt es gar nicht,wie Sie sich da herumdrücken, und Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Raoul kühler wird.«
Daß sie recht hatte, erbitterte Wiesener. Einen verdammt scharfen Ton hat sie sich neuerdings zugelegt. »Meinen Sie
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