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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schmalen Lippen verpreßt, saß er auf dem Rand seines Bettes. Es hat keinenSinn, weltschmerzliche Betrachtungen anzustellen über den Undank und die Jämmerlichkeit des Menschen. Der Prediger Salomonis, Shakespeare, Swift, Chamfort, Schopenhauer haben darüber schon alles Nötige gesagt.
    Er stand auf, in Schlappschuhen ging er durchs Zimmer. Ging hinüber in die Bibliothek. Er wollte eine Stelle im Chamfort nachschlagen; aber bevor er den Band herausgriff, vergaß er’s und setzte sich in den großen Ledersessel. Leas Porträt blickte auf ihn herab, aus grünblauen Augen unter dunkelbraunem Haar, gelassen, mit leiser Ironie.
    Es war ein mildernder Umstand, daß Lea nur einen jüdischen Großelternteil hatte, also jüdischer Mischling war. Die Ehe mit ihr würde einem deutschen Mann schließlich erlaubt werden, und Raoul galt der nationalsozialistischen Gesetzgebung bereits als »Arier«. Aber von ihm, von Wiesener, als von einem Prominenten der Partei, verlangte man doppelte Gewissenhaftigkeit, wenn es um Belange des Blutes ging. Jetzt wird es sich herausstellen, ob er, als er Heydebregg bei Lea einführte, etwas ungeheuer Gescheites gemacht hat oder eine ungeheure Eselei. Der Parteigenosse hat sich in der Rue de la Ferme sehr wohl gefühlt. Vielleicht frißt er’s, daß man ohne solche Verbindungen keinen rechten Einblick in die Pariser Dinge tun könne. Vielleicht auch speit er Feuer und Flamme, daß Wiesener ihn veranlaßt hat, die Gastfreundschaft eines »Mischlings« in Anspruch zu nehmen. Es ist Glückssache. Auf alle Fälle ist es gut, daß der Angriff nicht von »Völkischen« kommt, sondern vom Gegner; was die Emigrantenpresse schreibt, spricht eher für einen als gegen einen.
    Schon war das Schlimmste überwunden. Schon gab er den Augen der gemalten Lea ihren Blick zurück, selbstbewußt, fast übermütig. Wie oft haben diese Augen auf ihn herabgeschaut, wenn er etwas Kühnes, Geglücktes dachte, schrieb, sprach, tat. Nein, die Schmöcke von den »P. N.« werden ihn nicht so schnell unterkriegen, im Gegenteil, die Attacke regte ihn an. Es ist ihm zu lange gut gegangen, er hat sich zu lange nur gegen Selbstanklagen zu wehren gehabt. Es ist großartig,daß er einmal wieder einen wirklichen Kampf bestehen muß. Seine Laune hob sich. Er ging ins Badezimmer und brauste sich ein zweites Mal ab, lange. Im Bademantel, sich trocknend, sang er laut das Toreadorlied.
    Maria Hegner erschien, angestrengten Gesichts, offenbar gewillt, ihm als einem von einem schweren Schlag Getroffenen Teilnahme zu bezeigen. Ihre Haltung bestärkte ihn nur in seiner eigenen. Er machte Witze über den Artikel der »P. N.« und nahm mit Vergnügen wahr, daß diese seine Überlegenheit, die sie vermutlich für Zynismus nahm, ihr imponierte.
    Wenn die Heilbrun und Genossen, führte er vor ihr aus, glaubten, ihn mit solchen Anwürfen um sein Ansehen bringen zu können, dann irrten sie sich. Für so dumm und armselig sollten sie die Verantwortlichen, die über sein Schicksal zu entscheiden hätten, nicht halten. Er verkehrt, mit wem er will, er läßt sich da von den »P. N.« nicht einreden. Stellen sich die Heilbrun und Trautwein vor, die Partei erwarte von ihrem Pariser Vertreter, daß er sich verhalte wie ein SA-Mann in Stettin oder in Magdeburg? Soll er vielleicht Léon Blum und Tristan Bernard die Hand verweigern, weil sie Juden sind? Er wäre einfach pflichtvergessen, wenn er die Chancen nicht ausnützte, die ihm sein angenehmer Verkehr im Salon der Madame de Chassefierre bietet.
    Maria kannte ihren Wiesener bis ins Innerste. Sie selber, eine so glühende Anhängerin nationaler Ideen sie von jeher gewesen war, hielt sich weit ab von dem läppischen Rassengewäsch, das die Demagogen der Partei von sich gaben. Der ständige Umgang mit Wiesener, das Leben in Paris, hatte ihr den pöbelhaften Judenhaß dieser Demagogen noch verächtlicher gemacht, sie nahm ihn hin als Mittel zum Zweck, als notwendiges Übel, mit Widerwillen. Wiesener aber, fand sie, machte es sich zu leicht. Er pickte aus den Parteidoktrinen heraus, was ihm in den Kram paßte, und was ihn störte, das stellte er beiseite. Maria kannte Lea flüchtig, sie gefiel ihr nicht schlecht. Aber wenn einer von der Partei so viel nahm wie Wiesener, mußte er auch bereit sein, für sie Opfer zubringen. Und wenn die Partei an seiner Verbindung mit dem »Mischling« Anstoß nahm, so mußte er diese Freundschaft liquidieren.
    Sie war sich klar darüber, daß Wiesener das alles genauso

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