Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Mit Anstrengung riß er den Blick los und zwang sich, Heydebregg in die weißlichen Augen zu schauen. »Ich hoffe«, sagte er dringlich, »man wird das Geschwätz nicht ernst nehmen. Wenn die Heilbrun und Genossen mich angreifen, so beweist das höchstens, daß sie mich für wichtig halten, für einen nützlichen Diener der Partei. Es ist übrigens gleichgültig, wofür sie mich halten. Wichtig ist, was Sie von mir denken, Parteigenosse, ob Sie an mich glauben.«
Heydebregg hatte ihm, solange er sprach, unangenehm auf den Mund geschaut. Jetzt, da er fertig war, zog er wieder die Lider über die Augen. So verharrte er eine Weile. Endlich, immer mit geschlossenen Lidern, hub er zu sprechen an. »Wenn niemand hier wäre«, fragte er, »um Ihnen Weisungen zu erteilen, mit andern Worten, wenn ich nicht hier wäre, was dann würden Sie tun, Parteigenosse? Würden Sie Ihre Besuche in der Rue de la Ferme fortsetzen, meine ich, oder würden Sie sie einstellen?« Das war eine verfängliche, tückische Frage; Heydebregg hatte eine grausame Art, mit seinem Partner zu spielen.
Wiesener wunderte sich, wie wenig er die ganze Zeit über an Lea gedacht hatte. Daß sie nicht in Paris, sondern bei Freunden im Süden war, erklärte diese Teilnahmslosigkeit nicht hinreichend. War seine Neigung zu ihr vorbei? War er ein nackter Egoist, der die nächste Genossin so langer Jahre fahrenließ im ersten Augenblick der Gefahr? Leas Bild überfiel ihn; sie war ihm so nahe, als wäre sie im Zimmer, er sahihre zarte, helle Haut, die grünblauen Augen unter dem dunkeln Haar, die große, häßliche, fleischlose Nase, die er liebte. Nein, nein, nein, dachte er, ich bin kein Egoist. Ich liebe sie, gerade weil sie mich so viel kostet, ich liebe sie, so wie sie ist, mit ihrer Nase, und er bewunderte sich wegen seiner Ritterlichkeit und dachte, solche Ritterlichkeit sei eigentlich die beste Verteidigung und müsse auf den andern Eindruck machen. Er ließ sich nicht einschüchtern, selbst als jetzt Heydebregg die Augen öffnete und ihn anstarrte. »Ich bereue nicht, was ich getan habe«, erklärte er ruhig, stark, trotzig. Eigentlich, dachte er, ist Ritterlichkeit furchtbar altmodisch und außerdem romantisch und gänzlich unnationalsozialistisch. Aber: »Ich würde es mir keinen Augenblick einfallen lassen«, fuhr er fort, »wegen dieses läppischen Geschwätzes auf meine Besuche in der Rue de la Ferme zu verzichten.« Und dann, mit ganz kühnem Vorstoß, suchte er den andern als seinen Komplicen festzulegen. »Sie selber kennen ja die Rue de la Ferme, Parteigenosse«, schloß er seine Verteidigung, angreifend. »Würden Sie an meiner Stelle es anders halten?«
Den Bruchteil eines Augenblicks schien es Wiesener, als empöre sich Heydebregg gegen diese freche Vertraulichkeit. Oder hatte er sich getäuscht? Jetzt saß der Parteigenosse wieder undurchdringlich da. Die weiße, brutale, beringte Hand griff nach der Nummer der »P. N.«, entfaltete sie, die teilnahmslosen Augen glitten langsam über ein paar Zeilen. Dann, quälend langsam, legte Heydebregg das Blatt zurück. Er stand auf, unvermutet. Auch Wiesener sprang auf, etwas zu rasch. »Ich danke Ihnen«, sagte Heydebregg militärisch, Wiesener verabschiedend, »Heil Hitler.« – »Heil Hitler«, erwiderte Wiesener. Überrumpelt von dem jähen Abbruch des Gesprächs, nicht wissend, was er davon halten sollte, stand er vor der Tür.
Unterwegs, die Einzelheiten überdenkend, sagte er sich, daß das Ganze viel übler hätte ausgehen können. In solchen Fällen war der erste Sturm das Schlimmste. Nachdem der Parteigenosseihn nicht in der ersten Wallung davongejagt hat, wird er ihn auch weiter halten. Wenn ein Mann wie Heydebregg zu denken anfängt, wenn er die Argumente eines Wiesener erst einmal überlegt, dann hat dieser Wiesener gewonnenes Spiel.
Wiesener war mit sich zufrieden. Er hatte sich geschickt verteidigt und dabei auf ungewöhnliche Art, nämlich anständig. Er schüttelte den Kopf über sich selber, daß er den Mut zur Ritterlichkeit aufgebracht hatte. Wer sonst in seiner Lage hätte das getan? Jetzt, hinterher, kam er sich vor wie der Reiter über den Bodensee, war überzeugt, daß das Schicksal es gut mit ihm meine, und hatte Respekt vor seinem Instinkt und vor seiner Geschicklichkeit.
Da er so ritterlich für Lea eingetreten war, hatte er das Gefühl, er habe sich um sie verdient gemacht, und es sei an ihr, das anzuerkennen und ihm durch ein bißchen Bewunderung über seine schwere
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