Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
anstößig zuging. Von einigem, das er nicht ganz verstand, vermutete er, daß es frivol und zynisch sei, aber das Sodom und Gomorrha, das er sich erwartet hatte, war es bestimmt nicht. »Es ist harmloser, als ich geglaubt habe«, sagte er mit kleinem Bedauern zu Wiesener, als er ihn allein sprach, »aber die sogenannten Harmlosen sind die Gefährlichsten.«
Raoul beobachtete Heydebregg den ganzen Abend über mit unversteckter Teilnahme. Er machte sich an ihn heran, wann immer sich Gelegenheit bot, mischte sich bescheiden ins Gespräch, bemüht, Heydebreggs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erstaunt nahm Wiesener wahr, wie schlicht, ja kindlich sein Junge sein konnte, wenn er es darauf anlegte. Raouls sonst so scharfes Auge, dem die Schwächen andererkaum entgingen, schien die Fehler dieses Heydebregg nicht wahrzunehmen, sosehr sie in die Augen sprangen. Heydebregg erwiderte denn auch die offensichtliche Bewunderung des Jungen mit freundschaftlicher Herablassung. Zog ihn ins Gespräch, anerkannte seine erstaunliche Beherrschung der deutschen Sprache und Literatur.
Wiesener freute sich, daß sein Junge dem Parteigenossen gefiel. Er sagte auch dergleichen zu Raoul. Der erwiderte liebenswürdig, aber seine Liebenswürdigkeit war solcher Art, wie Wiesener selber sie zu zeigen pflegte, wenn etwas zwischen ihm und seinem Partner stand. »Daß wir dir den Frack haben bauen lassen«, scherzte er, »war wirklich eine ausgezeichnete Idee«, und Raoul gab etwas Scherzhaftes zurück. Doch Wiesener sah, daß Maria recht gehabt hatte, und daß er, nach der Geschichte mit dem Jugendtreffen, nicht so leicht die alten Beziehungen zu Raoul werde herstellen können.
Alles andere ging an diesem Abend nach Wunsch. Leas Gast gefiel ihren Parisern, und ihre Pariser interessierten den Gast. »Ich danke Ihnen, junger Mann«, sagte Heydebregg zu Wiesener, als er ging. »Sie haben recht, man findet manches Anregende in diesen Kreisen«, und er dachte vag an Leas Arm.
16
Der getretene Wurm krümmt sich
Bald darauf veranstaltete Wiesener für Heydebregg einen intimen Abend in seiner eigenen hübschen Wohnung. Zwei oder drei Leute waren da, die Heydebregg bei Lea getroffen hatte, und Lea selber. Der Parteigenosse schien sich wohl zu fühlen, er wagte ein paar kleine, steife und galante Scherze. Wiesener vermutete schon, seine kluge Taktik habe das böse Gerede, das man vor Heydebregg über ihn geführt haben mochte, entkräftet und der Pariser Besuch des Emissärs festige nur seine Stellung.
Allein dieser Traum endete jäh und böse. Eines Morgens nämlich, wenige Tage nach dem Diner, das er für Heydebregg gegeben, fand er, als er wie üblich im Bett beim Frühstück die Zeitungen las, in den »P. N.« einen Aufsatz über die deutschen Auslandsjournalisten. Gezeichnet war der Aufsatz nicht, doch an der Diktion erkannte er Franz Heilbrun als den Autor. Der Artikel befaßte sich eingehend mit ihm selber, mit Wiesener. Schamlos und geschickt wurde die Wendigkeit ins Licht gehoben, mit welcher er sich aus seiner demokratischen Vergangenheit in seine nationalsozialistische Gegenwart gerettet habe. Nicht einmal davor scheute dieses Schwein Heilbrun zurück, Privates in der Weise eines Revolverjournalisten zu »enthüllen«. Höhnisch wies der Artikel darauf hin, daß Wiesener manches liberale Gepäck aus seiner demokratischen Vergangenheit mitgenommen habe. Er verzichte zwar, hieß es, auf seine nichtarischen Freunde, nicht aber auf seine nichtarischen Freundinnen. Er verbringe seine Nächte offenbar ebenso gern in rassisch nicht ganz einwandfreier Gesellschaft in der Rue de la Ferme wie seine Tage in der Rue de Lille oder im Braunen Haus der Auslandsdeutschen.
Wiesener schmeckte das Frühstück nicht mehr, und der Blick über die silbrigen Dächer der schönen Stadt Paris war ihm vergällt. Mit einer so niederträchtigen Denunziation lohnten ihm diese Emigranten die Vornehmheit, mit der er sie bisher geschont hatte. Daß einmal in einem völkischen Blatt Gift dieser Art verspritzt werden könnte, darauf war er gefaßt gewesen: aber daß jetzt die Heilbrun und Konsorten ihn begeiferten, Leute, die ihn doch eigentlich verstehen mußten, damit hatte er nicht gerechnet. Man darf nicht anständig sein. Die Welt erlaubt es einem nicht. Wenn man anständig ist, dann hat man nur dafür zu zahlen. Von allen Lastern ist Anstand das kostspieligste. Längst hätte er das Gesindel zertreten müssen.
Er schob den Frühstückstisch zurück. Finster, die
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