Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Politik gedacht. Einfach einen Spaß habe er ihr machen wollen. Lea, habe er gehofft, werde Sinn haben für das ironische Vergnügen, einen Freund des Führers als Gast bei sich zu sehen. Parteigenosse Heydebregg inmitten ihrer Pariser, das sei doch ein großartiges Bild der ganzen Wirrnis der Epoche, und als solches ungemein spaßhaft.
Lea durchschaute seine Taktik. Aber sie konnte seine Vertrautheit nicht länger missen. »Mußt du immer so große Worte für so kleine Dinge brauchen, chéri?« fragte sie mit ihrer hellen, freundlichen Stimme. »Wie schnell du um jeden deiner kleinen Wünsche herum einen gigantischen ideologischen Apparat konstruieren kannst.« Er solle ihr also in Gottes Namen seinen Exoten bringen, fügte sie sich; schließlich sei sie schon gezwungen gewesen, sogar mit dem deutschen Botschafter an einem Tisch zu sitzen.
Er antwortete nicht. Mit einemmal sah er nur die Gefahren, die aus dem pikanten Zusammentreffen entstehen konnten, um das er sich die ganze Zeit bemühte. Am liebsten hätte er jetzt auf die Einführung Heydebreggs verzichtet. Aber es fiel ihm kein rechter Vorwand ein, einen solchen Rückzug zu begründen.
»Was machen unsere ›P. N.‹? fragte unvermutet Lea. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht merken zu lassen, wie tief ihn diese Frage traf. Lea hatte immer Instinkt gehabt, sie spürte also auch jetzt die Zusammenhänge zwischen Heydebregg und den Emigranten. »Die ›P. N.‹ gehen nicht schlechter und nicht besser als bisher, soviel ich weiß«, erwiderte er, seine Stimme klang ein bißchen belegt, er stand so, daß sie seine Augen nicht sehen konnte. »Und ihr tut nichts, um sie zu stören?« fragte sie. »Nicht daß ich wüßte, Liebling«, antwortete er, jetzt gefaßt und mit der notwendigen Leichtigkeit des Tons. »Na schön«, resümierte sie mit einem kleinen Seufzer, »bring mir also deinen Heydebregg, wenn du dir was davon versprichst.«
Und sie spielten ihre Partie Schach nicht.
Die Gesellschaft, die Lea für den prominenten Barbaren geben wollte, interessierte alle Geladenen. Selbst Raoul, der sich in den letzten Wochen im Kreis seiner Mutter wenig hatte sehen lassen, wünschte mit dem Fremden zusammenzukommen. Lea fürchtete, ihr sensationslüsterner, impulsiver Junge könnte dem Gast unangenehme Fragen stellen und Zwischenfälle hervorrufen. Aber als sie das Raoul vorsichtig zu verstehen gab, erklärte er leicht gekränkt, er werde sich seines Frackes würdig erweisen.
Heydebregg gab sich bei dem kleinen Diner repräsentativ und gemessen, das steife Hemd stand ihm gut. Er bewegte sich langsam, mit umständlicher, altfränkischer Höflichkeit, machte viele Verneigungen, nahm Frauenhände nicht ohne Zartheit in seine eigenen, gewaltigen, weißhäutigen, sprach sein eckiges Schulfranzösisch und redete, zur leisen Enttäuschung der Gäste, keinerlei Unsinn. Selbst Marieclaude gab zu, daß Monsieur Heydebreggs täppische Korrektheit nicht eines gewissen Nilpferd-Charmes entbehre.
Heydebregg schaute während des ganzen Abends mit seinen weißlichen, wimperlosen Augen um sich wie ein Tourist im fremden Land. Er tat das nicht auffällig, aber gründlich.Er hörte auch aufmerksam auf das, was gesprochen wurde; leicht fiel es ihm nicht, dem raschen, lockeren Französisch der andern zu folgen. So mehr freute es ihn, daß Madame de Chassefierre, seine Tischdame, geläufig deutsch sprach.
Lea fand sich von Herrn Heydebregg, trotz seiner unbehaglichen Augen und furchteinflößenden Hände, eher angezogen als abgestoßen. Warum eigentlich hatte sie Erich so lange zappeln lassen, bevor sie ihm sein unschuldiges Vergnügen konzedierte? Er schien noch immer ein wenig nervös und ängstlich. Um ihn zu beruhigen, und weil ihm offenbar an Monsieur Heydebregg lag, fing sie an, mit dem Nilpferd zu kokettieren. Das Nilpferd, sie nahm es mit leisem Vergnügen wahr, brachte die Augen nur schwer wieder weg von ihrem bloßen Arm.
»Warum lächeln Sie?« fragte er, fast schulmeisterlich streng. »Scheint Ihnen das so töricht, was ich gesagt habe?« Er hatte, einmal wieder, Vergleiche gezogen zwischen deutscher und französischer Geselligkeit. »Keineswegs«, erwiderte sie. »Ich lächle, weil es mir gut steht und weil ich guter Laune bin. Ich finde Sie sehr unterhaltend, Herr Heydebregg.«
Lea gefiel Herrn Heydebregg. Überhaupt mußte er sich mit leisem Ärger zugestehen, daß es in dieser libertinen Gesellschaft, in der überdies zwei Juden waren, angenehm und nicht sehr
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