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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wußte wie sie selber. Daß er jetzt so frech darüber wegglitt, gefiel Maria, doch sie hörte aus seinen Scherzen die Unsicherheit heraus. Andernteils wußte sie, daß sie, wenn sie jetzt die Gefahren der Lage unterstrich, ihn nur um so tiefer in seine leichtfertige Sorglosigkeit hineintreiben werde. »Mag sein«, erwiderte sie trocken, »daß Sie recht haben. Aber es ist fraglich, ob Sie mit diesem bequemen Standpunkt durchkommen werden. Sie werden es sich kaum leisten können, die Angriffe der ›P. N.‹ in Gegenwart anderer so von oben her abzutun, wie Sie es jetzt gemacht haben.«
    Marias sachliche Worte verfehlten nicht ihren Eindruck. Wieseners hohe Stimmung verflog. Jetzt hat Heydebregg den niederträchtigen Artikel sicher schon gelesen. Er nimmt die Rassenlehre ernst. Vielleicht wird er ihn aus Gründen des Parteiprestiges vorläufig noch nach außen hin decken: aber wie wird er in Zukunft mit einem so Bemakelten verfahren?
    Wiesener hielt es für geraten, nicht erst abzuwarten, bis Heydebregg ihn zur Rechenschaft ziehen werde, sondern sich glattwegs selber zu stellen. Er rief Heydebregg an, sagte ihm, er habe ihn dringlich zu sprechen. »Das kann ich mir denken«, kam Heydebreggs ungeölte Stimme aus dem Apparat. »Ich will mir aber Ihren sogenannten Fall erst in Ruhe überlegen, und Sie, Parteigenosse, warten gefälligst, bis man Sie aufruft.«
    Den Rest des Tages verbrachte Wiesener in Unruhe, auch hatte er keine gute Nacht. Am nächsten Morgen beschied ihn Heydebregg schon in aller Frühe ins Hotel Watteau.
    Noch strenger und gemessener als sonst saß der Parteigenosse in dem zierlichen, blausamtenen Sessel, die Hände auf den Knien, steif, in der Haltung einer ägyptischen Königsstatue; machtvoll und brutal drohte der Siegelring. Das Exemplarder »P. N.« mit Heilbruns Artikel, zerknittert und zerlesen, doch säuberlich gefaltet, lag auf dem kleinen, goldenen Tisch, und diesmal hatte Wiesener kein Aug für den holden, nackten Hintern der schönen Miß O’Murphy des Boucher.
    »Stimmt das, was da steht, Parteigenosse Wiesener?« fragte Heydebregg mit einer kaum merklichen Kopfdrehung gegen die Nummer der »P. N.«; seine tiefe Stimme klang noch kälter als sonst, er war ganz Zugeknöpftheit, Korrektheit, Finsternis. Wiesener saß ihm gegenüber, aber er schaute ihm nicht ins Gesicht, er hielt den Blick auf die mächtige Krawatte gerichtet, die den Westenausschnitt Heydebreggs ganz ausfüllte.
    Wiesener hatte beschlossen, diesmal nicht den braven Schüler zu spielen. Auf die Dauer konnte er nicht durch eine Maske wirken, sondern nur durch sein eigenes Selbst. Natürlich wird er nicht nur die schiere Wahrheit reden, er ist ja kein Narr, aber er wird mehr aus sich herausgehen als bisher. »Stimmt das, was da steht?« hatte der Parteigenosse gefragt. »Ja und nein«, erwiderte Wiesener. »Was heißt das?« fragte amtlich und bedrohlich die ungeölte Stimme weiter. »Ich habe vor Jahren mit Madame de Chassefierre stark geflirtet, das stimmt«, gab Wiesener zu. »Jetzt, seit langer Zeit, sind meine Beziehungen zu der Dame freundschaftlich. Sie ganz abzubrechen schien mir inopportun. Es hätte nur Feindschaft erregt, es hätte meine Stellung in der Pariser Gesellschaft erschwert, es hätte mir den Zutritt zu einer Reihe von Kreisen verschlossen, in welche Einblick zu tun ich für wünschenswert ansah. Außerdem«, fügte er mit schönem Freimut hinzu, »gefällt mir die Dame heute noch genausogut wie früher. Ihr Bild hängt in meiner Bibliothek, Sie wissen es. Ich hätte es für unwürdig eines deutschen Mannes gehalten, es hinauszuhängen.«
    Das Gesicht Heydebreggs blieb unbewegt. Nur für zwei Sekunden schlossen sich die faltigen, wimperlosen Lider über den Augen; als er sie wieder öffnete, sahen sie noch starrer aus als zuvor. Da er nichts erwiderte, entschloß sich Wiesener, weiterzureden. »Ich habe ein gewagtes Spiel getrieben«,sagte er, er sprach jetzt leicht und selbstbewußt. »Die Waffen des Achilles kann nur Achilles selber tragen, andern sind sie zu schwer. Ich halte mich für zuverlässig genug, mir eine Handlungsweise herauszunehmen, die ein Verbrechen wäre, wenn sie ein anderer übte. Wenn man das Gewäsch der Emigrantenpresse ernst nimmt, dann, Parteigenosse, bin ich zu weit gegangen, dann habe ich mich überschätzt.« Heydebregg schwieg noch immer. Wiesener schaute jetzt auf den Trauerflor, der Trauerflor wurde immer größer, er verbreiterte sich. Wiesener begann unsicher zu werden.

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