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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hergefallen und verprassen sein Gut und vergewaltigen seine Leute. Aber Penelope webt und ist schlau, und die Freier kriegen sie nicht, und sie wartet, und Odysseus wird zurückkehren. Eleusetai«, wiederholte er das zuversichtliche Wort in seiner Urform. Er sagte aber das alles gänzlich unpathetisch,es war eine beiläufige Mitteilung, die ruhige Konstatierung einer Tatsache. Niemand lachte, alle, auch diejenigen, die nicht Griechisch konnten, verstanden das griechische Wort, und im Grunde war jeder für einen Augenblick dem kindisch gewordenen Greis dankbar.
    Während man zu schwatzen versuchte wie vorher, nahm sich Anna den Musikkritiker Sahling vor, jenen Mann, der einst in Berlin in den Belangen der Musik allmächtig gewesen war. Damals hatte er sich Sepp als Zielscheibe ebenso geistreicher wie ungerechter und unanständiger Angriffe herausgesucht, er hatte ihm das Leben manchmal sauer gemacht, und Sepp hätte, wären Sahlings freche und witzige Anpöbelungen nicht gewesen, zweifellos mehr erreicht. Heute aber zahlte es Anna diesem Sahling heim. Sie griff Wendungen auf, bösartige, tückische, mit denen Sahling seinerzeit ihren Sepp attackiert hatte, sie bedrängte ihn, mit Sachkenntnis und mit Eifer verteidigte sie das Werk ihres Mannes. Sahling, gehemmt, unsicher, erwiderte schwunglos. Anna fühlte sich gut in Form, sie zog ihren Gegner laut auf, mokierte sich über ihn. Und da sie sah, daß er, so frech und gewandt er mit der Feder war, in Gesellschaft scheu und schwerfällig wurde, ließ sie sich immer weiter fortreißen und attackierte ihn mit saftiger Bosheit. Sahling wehrte sich ungeschickt, hilflos und machte keine gute Figur, alle waren sichtlich auf Annas Seite.
    Sepp Trautwein gefiel es nicht, was Anna da machte. Er war sich der Grenzen seiner Leistung bewußt und fühlte sich innerhalb seines Bereichs um so sicherer. Das Hämische, was Sahling ihm angetan hatte, war schon damals schnell von ihm abgeglitten, jetzt, im Exil, hatte er es vollends vergessen. Er mißbilligte Annas Angriffe auf den ungewandten Mann und bemühte sich, ihn aus ihren Fängen zu befreien.
    Im Grunde tat der Mensch ihm leid. Für Trautwein war das Vergangene wirklich tot, für ihn existierte nur der Sahling von heute, und der war ein Emigrant, wie er selber einer war. Er nahm ihn beiseite und sprach ihm freundlich zu, teilnahmsvoll. Sahling aber erinnerte sich alles dessen, was er Trautweinangetan hatte, und blieb mißtrauisch. Trautwein mühte sich, die Scheu des andern zu besiegen, er erkundigte sich voll wirklicher Teilnahme, woran er arbeite, und als ihm Sahling von seiner »Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts« erzählte, die jetzt, nachdem er acht Jahre lang daran geschrieben, wohl endgültig in der Schublade verschimmeln werde, überlegte er ernstlich, ob dafür nicht vielleicht doch ein Verleger aufzutreiben sei. Sahling indes, der sich nicht vorstellen konnte, daß jemand angetane Unbill sollte vergessen haben, fürchtete, hinter Trautweins zur Schau getragener Freundlichkeit berge sich doppelte Tücke, und blieb mißtrauisch und verstockt.
    Trautwein saß in schwerem Nachdenken. Wie klein waren diese Menschen, wie eingesperrt in ihr Früher. Wie spärlich waren diejenigen, welche im Exil besser, wie zahlreich jene, die schlechter geworden waren. Harry Meisel hatte recht mit den Emigranten seines »Sonett 66«; diese Emigration war ein erbärmlicher Flohzirkus.
    »Warum hast du es denn dem Sahling gar so wüst gegeben?« fragte er Anna, als er sie allein zu sprechen bekam. »Hätte ich ihm vielleicht noch Zucker dafür reichen sollen«, fragte sie streitbar zurück, »daß er den niederträchtigen Aufsatz schrieb über deinen ›Leitfaden‹?« – »Das ist doch alles Schnee vom vergangenen Jahr«, besänftigte Trautwein. »Siehst du nicht, was für ein armer, verprügelter Hund er ist?« Anna sah es, und sie liebte ihren Mann.
    Im übrigen schwand, da Trautwein heiter und gutmütig von Natur war, im späteren Lauf des Abends seine Melancholie und Menschenverachtung, und schließlich steckte die alberne, harmlose Lustigkeit der andern ihn an. Heilbruns Gäste, und jetzt Trautwein mit ihnen, verloren sich immer tiefer in dem, was ihnen von ihrer Jugend geblieben war. Diese Menschen, keiner unter vierzig, wandelten sich zurück in Zwanzigjährige, sie schwelgten im Gedächtnis ihrer unbeschwerten Vorkriegszeit. Man sprach von den bittern und lustigen Streichen, die man damals angestellt hatte, man sprach von

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