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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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unsicher. Das rührte nicht etwa daher, daß sie ihre Arbeit bei Wohlgemuth ordentlicher verrichtet hätte als in den ersten Tagen, sie stellte nach wie vor mehr Unglück an, als daß sie half: aber während Wohlgemuth sich früher darüber geärgert hatte, klangen jetzt seine sarkastischen Bemerkungen nicht mehr bösartig, es schien fast, als finde er in ihrer Ungeschicklichkeit einen gewissen Reiz. Die Zeiten jedenfalls, da er in ihr nichts gesehen hatte als ein Stück Malheur, waren vorbei. Elli, mit natürlicher Koketterie, legte es darauf an, ihre Zartheit, Gebrechlichkeit, Labilität, Lebensunfähigkeit immer mehr zu unterstreichen. Wohlgemuth war gerührt, und Elli, die wußte, daß der Weg von solcher Rührung bis zur Verliebtheit nicht weit war, nutzte seine Gefühle aus und machte es sich bequemer.
    Heute, erklärt sie Anna, muß sie ein bißchen früher weggehen. Sie hat jemand gefunden, der sie in die Oper mitnimmt,man gibt »Butterfly«, und sie hat nur ein altes Fähnchen anzuziehen und will versuchen, daraus das möglichste zu machen. Es ist dieser Doktor Wendtheim, der sie mitnehmen will, derselbe, von dem sie Anna schon mehrmals erzählt hat. Er ist ein steifer Mensch, langweilig, früher hätte man so einen links liegenlassen; aber heute darf man sich einen Mann nicht zu genau anschauen, wenn er einen in die Oper mitnehmen will. Heute muß man froh sein, wenn einer da ist, der ein bißchen Anteil an einem nimmt, sonst ist man ganz verloren.
    Anna betrachtet Elli von der Seite her. Ist das die Frau, die noch vor ganz kurzem mit so herzzerreißender Gier über die Speisen hergefallen ist? Heut abend geht sie also in die Oper. Mit diesem Doktor Wendtheim. Ellis Mann ist im Konzentrationslager umgekommen. Anna hat ihn gut gekannt, er ist ein gescheiter Mann gewesen, lebendig, tapfer, er hat gut ausgeschaut, tausend Sympathien waren ihm zugeflogen. In der ersten Zeit nach seinem Ende konnte Elli nicht loskommen von dem Gedanken an ihn; wie immer man sie abzulenken versuchte, ihre Gedanken und ihre Worte kehrten zu ihm zurück. Jetzt hört Elli nicht mehr gern von ihm reden. Es sind fast zwei Jahre her, daß er zugrunde gegangen ist, und man kann wohl nicht zwei Jahre lang pathetisch trauern. Aber Anna kann sich nicht vorstellen, daß sie selber, wenn ihr dergleichen passiert wäre – sie verscheucht den Gedanken sofort, sie will ihn nicht zu Ende denken. Elli ist also jetzt mit ihrem Doktor Wendtheim zusammen, ziemlich oft. Er gefällt ihr nicht; wenn sie von ihm spricht, hat sie ein entschuldigendes, fast verlegenes Lächeln, beinahe schämt sie sich seiner. Sie ist wohl nur deshalb mit ihm zusammen, weil er an ihr »Anteil nimmt«, das heißt, weil er ihr häufig ein Abendessen zahlt und ihr wohl überhaupt hilft, ein paar hundert Franken zu ersparen. Ob sie mit ihm schläft? Wenn nicht, dann wird sie, falls er ernstlich darauf drängt, es sicher tun. Sie kann es sich nicht leisten, jemand abfahren zu lassen, der an ihr Anteil nimmt. Auch Doktor Wohlgemuth nimmt an Elli Anteil. Sicher würde sie auch mit ihm schlafen. Anna begreift das; aber es gefällt ihr nicht.
    Sie sind bei Wohlgemuth angelangt. Es gibt viel Arbeit, und Elli, wie stets, stört mehr, als sie nützt. Wohlgemuth selber tummelt sich mit gewohnter Frische, arbeitet, beschimpft seine Patienten, kalauert, es ist alles wie sonst. Trotzdem ist irgendwas verändert; Anna weiß nicht, woran es liegt, sie wittert es. Sie liebt Veränderungen nicht; wenn sich was ändert, dann immer nur zum Schlechten.
    Nach einer Weile sagt denn auch Wohlgemuth: »Übrigens, Frau Trautwein, ich muß Sie noch ein paar Minuten sprechen. Nicht jetzt«, fügt er eilig hinzu, da schon der nächste Patient eintritt, »bei Gelegenheit.«
    Anna geht ab und zu, gelassen wie immer, ruhig, damenhaft, empfängt Patienten, lacht und scherzt ein bißchen, telefoniert, leistet Handreichungen. Aber sie ist nervös. Sie hat ja gleich gemerkt, daß was los ist. Dabei ist es vielleicht gar nichts, was ihr der Doktor zu sagen hat. Ob sie ihn nicht glatt fragt, zwischen zwei Patienten? Unsinn. Sie darf ihm nicht zeigen, wie gespannt sie ist. Man kommt herunter in der Emigration, nicht nur mit dem Geld, auch mit den Nerven. Immer hat man ein Gefühl, als lauere etwas Unangenehmes auf einen. Früher, zu Hause, wenn jemand sie hat sprechen wollen, mit welcher Ruhe hat sie darauf gewartet. Wie lang hat sie Briefe uneröffnet liegenlassen. Jetzt reißt sie ungeduldig alles auf, was

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