Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
ihr Gesicht war gespannt und lebendig, ihre schönen Augen glänzten, ihre angenehme Stimme klang voll und sicher, ihre Bewegungen waren lässig und beherrscht, nichts mehr war da von der Anna jener Nacht, die ihren Mann schreiend beschimpft hatte.
    Vielmehr erzählte sie mit gelassenem Stolz von der Arbeit ihres Sepp, daß nämlich sein Oratorium »Die Perser« vollendet und daß die Aufführung durch den Pariser Rundfunk so gut wie gesichert sei.
    »Wieviel trägt eigentlich eine solche Aufführung?« fragte plötzlich statt aller Antwort nachdenklich Gertrud Simmel. Anna setzte die Teetasse nieder, ohne sie zum Mund geführt zu haben. War das Gertrud Simmel, die das gefragt hatte, die gleiche Gertrud Simmel, die es immer peinlich vermieden hatte, von Preisen, von Gelddingen zu sprechen, weil ihr das für unvornehm galt, die elegante, prätentiöse Gertrud Simmel, die nur interessiert war an Musischem und Mondänem? Wie die Dinge jetzt lagen, hatte Anna sich oft errechnet, welche Erleichterung es für ihr Budget bedeutete, wenn die Rundfunkaufführung zustande käme und sie das Honorar erhielte; aber gemessen an den Erträgnissen regulärer Opernaufführungen war ein solches Honorar ein Pappenstiel. Was wollteGertrud Simmel mit ihrer Frage? Fragte sie aus ehrlichem Interesse? Hatte die Emigration ihr beigebracht, daß das Leben soviel »Vornehmheit«, wie sie für nötig hielt, nicht erlaubte, und daß es keine Schande war, von Geldnöten zu reden? Von Gertruds Gesicht war nichts abzulesen. »Wieviel eine solche Aufführung trägt?« wiederholte Anna, beinahe im gleichen wägenden Ton wie Gertrud. »Wie man es nimmt«, antwortete sie, »viel und nicht viel. ›Der Rosenkavalier‹ bringt mehr«, fügte sie hinzu und lachte.
    Allein Gertrud ging auf den spaßhaften Ton nicht ein. Sie nickte vielmehr, als wüßte sie genau Bescheid und als hätte sie eine ähnliche Antwort erwartet, aber es war in ihrem Nicken keine Überheblichkeit. »Bei uns geht auch nicht alles, wie es sollte«, sagte sie unvermittelt, unvermutet; sie schaute sorgenvoll aus, betrübt, ihr volles Gesicht verfiel, wurde schwammig, man sah, wie dick Schminke und Puder aufgetragen waren. Ringsum war das sorglose Geschwätz der geputzten Damen.
    Gertrud beugte sich ein bißchen näher, sie legte die fleischige Hand auf die große, magere, gutgebildete Annas und fuhr fort: »Arthur arbeitet wie ein Verrückter. Es ist ein Betrieb, als wäre es wunder was, aber es schaut nichts dabei heraus. Jetzt hat er wieder Schwierigkeiten mit den Aufsichtsbehörden.« Doktor Simmel, der als geschickter Anwalt galt, arbeitete zusammen mit einem französischen Kollegen, aber er hatte keine französischen Examina gemacht, seine Tätigkeit war illegal. »Man kommt nicht voran«, berichtete Gertrud weiter, »man faßt hier nicht Fuß, nie wird man hier Fuß fassen, man hält sich, man klammert sich an, aber man rutscht ab, unaufhaltsam.« Sie sprach leise, sie schaute Anna nicht an, hielt aber die ganze Zeit ihre Hand auf der Annas; Anna verspürte einen kleinen Widerwillen, doch sie brachte es nicht über sich, die eigene Hand wegzuziehen.
    Daß Gertrud sich mit einemmal so gehenließ, erschütterte Anna. Sie selber fühlte sich heute zuversichtlicher als sonst, aber es war ihr keine Genugtuung, daß Frau Kohn es nun aufeinmal soviel billiger gegeben hatte. »Ja«, sagte sie statt dessen vage, »es ist verdammt schwer.«
    So saßen die beiden in dem wohlhäbigen Café inmitten der gepflegten Frauen, gepflegt wie die andern, eine kleine Insel der Traurigkeit in dem Behagen ringsum. Und, vielleicht zum erstenmal, seitdem sie einander kannten, spürten sie nicht, wie sehr ihr Wesen sie trennte, sondern fühlten sich einander nahe.
    An einem der nächsten Tage traf es sich, daß Anna das letzte Stück Weges zum Haus Doktor Wohlgemuths gemeinsam mit Elli Fränkel zurücklegte. Das geschah selten, obwohl sie sich eigentlich an der Metrostation öfters hätten treffen müssen; denn ihre nachmittägliche Arbeit begann zur gleichen Zeit. Allein Elli war fast niemals pünktlich.
    Heute war sie es. Sie trippelte neben Anna her, munter schwatzend. So trüb und mürrisch Elli während ihrer ersten Zeit bei Doktor Wohlgemuth gewesen war, in diesen letzten Wochen hatte sie sich verändert, sie war vergnügt geworden, schwatzselig. Ein bißchen schlampig wirkte sie immer noch, aber sie sah nicht mehr grau und verkommen aus, eher hübsch und jung. Auch fühlte sie sich weniger

Weitere Kostenlose Bücher